Mr. Rudolpho Kramers abscheulicher Tod

Veröffentlicht: Juni 10, 2008 in Geschichten oder so ähnlich, Kurzgeschichten
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Mr. Eugenius Victor Rudolpho Kramer war ein armer, gequälter Mann. Nicht nur wegen eines Namens, den ihm seine Eltern im Marihuanarausch verpasst und dabei keinen Moment an ihn gedacht hatten. Nein, Rudolpho hatte ein noch viel größeres Problem. Nun, eigentlich drei. Das Erste hieß Esmeralda Kramer und war sein gebieterisches Eheweib. Eine Ausgeburt der Hölle, welche in seinem tragischen Leben die tragende Rolle des Unterdrückers übernahm. Das Zweite ist allgemein bekannt als Lepra.
Nun war es nicht so, dass unser Freund Rudolpho mit seinem Namen und dem Aussehen eines glatzköpfigen, untersetzten Mittelschullehrers jemals gute Chancen im Leben erhalten hätte, aber DAS hatte er nun wirklich nicht verdient.

Ein ehrlicher, kleiner Mann hat auch das Recht auf ein ehrliches, kleines Leben, wie Ihnen jeder sozial engagierte Mensch bestätigen wird! Mrs. Kramer, unumschränkte Herrscherin des Haushaltes, war jedoch die Bewahrerin einer alten, sehr fanatischen Glaubensfraktion. Sie gehörte zu den letzten ihrer Art, doch war sie,  als Mutter Oberin, stets bestrebt, ihre Religion der „Kindergebärenden Haus- und Herdmaschinen“ in die Welt zu tragen. Zu diesem Zwecke hatte sie auch drei Töchtern das Leben geschenkt, deren väterliche Bindung sie auf ein Minimum reduzierte. Mrs. Kramer nährte und umhegte ihre drei Novizinnen, zog sie sorgsam hoch wie Spargel und stattete sie mit Fähigkeiten wie dem Erwittern von 0,01 Promille und dem Aufspüren fremden Frauenhaares auf Männerhemden aus.

Doch das Wichtigste, was die Schülerinnen und Töchter bei Esmeralda Kramer lernten, war Sauberkeit und dies war letztlich Rudolphos größtes Problem. Seit Ausbruch seiner Krankheit vom Dienst suspendiert, dem Tode schon viel näher als er es wahrhaben wollte, befand er sich nun vollends in den Fängen seiner irren Ehefrau. Niemals fähig, sich zur Wehr zu setzen, hatte er seine letzten Lebensjahre an dieses Weib verloren. Mit Blut unterzeichnet war das Ehegelöbnis, aufgehängt über dem Kamin, Esmeraldas größter Stolz und Rudolphos persönliches Damoklesschwert. Aus seinen früher vereinzelt auftretenden Schuppen war nun ein wahrer Hautfetzenregen geworden und Esmeralda konnte weder das noch Mr. Kramers allzu strengen Verwesungsgeruch ertragen.

Keifend und zeternd durchstreifte sie, mit Staubsauger und Wischtuch bewaffnet, die Wohnung, während sich Rudolpho seufzend in seine Leseecke zurückzog. Seinem Schicksal blind ergeben fügte er sich ihren Launen, duschte viermal täglich, umhängte sich mit Duftbäumchen und trug einen Ministaubsauger in seiner Westentasche. Er verbrachte seine Zeit mit Zeitung lesen, Nachrichten schauen und hin und wieder, wenn es ihm sein Weib gestattete, las er ein bisschen in Shakespeares Romeo und Julia. Mrs. Kramer wusste jedoch genau, dass all diese Romantik ihren geliebten Rudiwudi zu sehr aufwühlte und so erhielt er nur selten die Erlaubnis zu dieser kleinen Erbaulichkeit. Die meiste Zeit brachte er in seinem geliebten Ohrenbackensessel zu.
Erbstück und letzter Halt seiner Männlichkeit.

Stunde um Stunde verharrte er dort, um aus dem Fenster die Vögel im Park zu beobachten. Doch auch diesen allerletzten Fels in der Brandung hatte seine Ehefrau nun im Visier. Den alten Fetzen, wie sie meinte, müsse man umgehend aus dem Hause schaffen. Er sei eine Schande und wenn nun einmal Besuch käme, könne man sich gar nicht ausdenken, was die Leute dazu sagen würden! Sie verlangte die umgehende Abschaffung dieser augenpeinigenden Pietätlosigkeit, wie sie sich naserümpfend äußerte. Mr. Kramer weigerte sich jedoch beharrlich und verlor vor lauter Aufregung gar seine Oberlippe. Zitternd und bebend verlangte es ihn, diese letzte Bastion seiner ehemaligen Lebensfreude zu erhalten.

Doch Rudolphos Nemesis blieb trotz dieses erschütternden Vorfalles stur, und als Mr. Kramer einmal von einem seiner raren Spaziergänge nach Hause kam, war sein geliebter Sessel entschwunden. Das Entsetzen, das er in jenem traurigen Moment verspürte war unbeschreiblich. Esmeralda hatte es getan. Der Sessel war vernichtet worden, so wie zuvor jedes andere Stückchen Persönlichkeit, das Rudolpho Kramer jemals besessen hatte. Zutiefst erschüttert nahm sich Mr. Rudolpho Kramer, leprakranker, suspendierter Mittelschullehrer aus Münster, das Leben. Er erhängte sich an der Stelle, an der er früher immer gesessen hatte und hinterließ nicht mal einen Abschiedbrief. Mit einem sanften Seufzen schied er aus seinem elenden kleinen Leben und seine Seele fuhr mit einem Furz direkt zur Hölle nieder.

© Sybille Lengauer

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