Der Bulle
Ein Bulle stolz zur Koppel geht,
– die Hörner leicht nach Rechts verdreht,
– die Schnauze in der Brise,
Freut er sich auf die Wiese.
Doch was er sieht empört ihn sehr,
Denn Schäflein tanzen dort einher,
Wo er es ihnen untersagt,
Weil ihm solch Treiben nicht behagt.
Da schießt die Wut ihm ins Gehirn,
Beult mächtig aus die Bullenstirn,
Schon scharrt er wild mit seinem Fuß,
Schaum fließt vom Maul im Überfluss.
Und rasend brüllt er zu den Schafen:
„ Räumung – oder es gibt Strafen!
Schiebt ab ihr faules Lumpenpack,
Bevor ich euch in Stücke hack!“
Doch rufen ihm die Schäflein zu:
„Verzieh dich Bulle, schlapper du,
Zu bleiben das ist unser Recht,
Frag unsern Bauern: Berthold Brecht!“
Der Bulle schreit in Agonie,
Denn Brechtgesinnt war er noch nie,
So richtet er in blindem Wahn,
Ein schauderlich Gemetzel an.
Ob Lämmchen oder Muttertier,
Er drischt hinein, ganz wilder Stier,
Da hilft kein Flennen und kein Klagen,
Der Bulle schnauft nur vor Behagen.
Zertrampelt roh die ganze Herde,
Blutgetränkt sind Gras und Erde,
Und als er – nur aus Atemnot –
Kurz innehält, sind alle tot.
Zufrieden steht der Bulle da,
Denn dass es pure Notwehr war,
Aus der heraus er sich verteidigt,
Dies schwört er – wenn man ihn vereidigt.
„Wo kämen wir denn bitte hin,
Wenn ich der Schafe Widersinn,
Würd teilnahmslos ertragen?“
Tät er den Richter fragen.
So hebt er stolz sein Bullenhaupt,
Und weiß sein Handeln ist erlaubt,
Denn was ein Richter schätzt am Schaf,
Ist wenn es fügsam bleibt und brav.
© Sybille Lengauer