Archiv für Mai, 2011

Sehnsucht

Veröffentlicht: Mai 30, 2011 in Gefasel
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Sie ist die Summe aller ungedachten Wünsche. Das kleine, nagende Gefühl, das sich in die Gedanken schleicht. Zweifel in die Zuversicht sät und dann geduldig hinter einer Ecke wartet. Sie ist die Erinnerung aller unerlebten Momente. Thousand places need to be seen. Thousand things need to be done. Sie ist das Klingeln des Weckers, wenn der Traum gerade erst anfängt. Sie ist das Schluchzen in der Nacht, in miefigen Kissen. Der brennende Wunsch, etwas anderes zu tun. Die nagende Sorge, dass es dafür zu spät ist. Thousand words need to be spoken. Thousand tears need to be shed.

Sie ist die lautlose Explosion aller unausgesprochenen Worte. Die willige Hure der unterdrückten Hoffnungen. Die Ansammlung der dreckigen Fußabdrücke aller Könnte und Wollte, die sich wie eine zweite Spur durch das Leben zieht. Thousand dreams need to be written. Thousand secrets need to be found. Thousand variations of one me need to be seen, need to be done, need to be spoken, need to be shed, need to be written, need to be found. Need to be lived, need to be fed, need to be, need to be, need to be…

© Sybille Lengauer

Westfälische Nachrichten,
Reim und Rhythmus mit Sybille Lengauer
Fintenreiche Meisterwerke

Ihre Lyrik steckt voller Brandsätze, ihre Prosa explodiert vor mutigen Wortkanonaden. Nicht nur mit ihrer äußeren Erscheinung ist Sybille Lengauer eine der schillernsten Persönlichkeiten innerhalb Münsters junger Literaten-Szene. 2002 kam sie der Liebe wegen aus dem österreichischen Linz ins Münsterland. Zu ihren Lesungen erscheint sie mit immer neuen extravaganten Outfits. Immer aber als eine „Diva zum Anfassen“, scheut sie sich nicht vor strapaziösen Fahrten, um beispielsweise Kollegen honorarfrei bei Benefiz-Veranstaltungen zu unterstützen.

Kompromisslos ist die Autorin Jahrgang 1980 nur, wenn es um ihre Texte geht. Während ihrer Auftritte bei Poetry-Slams verzichtet Sybille Lengauer nicht selten auf jegliche Form von Effekthascherei beim Vortrag. Wenn ihr am jeweiligen Abend ein bestimmter Text unter den Nägeln brennt, bezieht sie deutlich Stellung – ohne Rücksicht auf den Wettbewerb. Mit „Goldstaub und Ruinen“ veröffentlicht Sybille Lengauer nun bereits ihren dritten eigenen Band seit 2008, prall gefüllt mit neuer Lyrik und Prosa. Auf 130 Seiten findet der Leser über 80 Gedichte und Geschichten, gewidmet „all jenen, die gegangen sind und all jenen, die noch kommen werden“.

Sybille Lengauer beherrscht Reim und Rhythmus mit Leichtigkeit. Ihre Dichtung wirkt nicht gestelzt, ihre Erzählungen sind fintenreiche, kleine Meisterwerke. Mit Wortschöpfungen wie „Nespressonestwärme“ und „Kontaktarmutskinder“ präsentiert sie ihre Lust am spielerischen Umgang mit der Sprache. Leseproben finden sich auf zahlreichen Seiten im Internet. Während einer Book-Release-Party am heutigen 24. März um 20 Uhr in der Kulturkneipe „Frauenstr. 24“ wird Sybille Lengauer „Goldstaub und Ruinen“ offiziell der Öffentlichkeit vorstellen.

» Sybille Lengauer, „Goldstaub und Ruinen“ Edition PaperONE, 9.95 Euro.

Gerold Marius Glajch

A.v.S.

Veröffentlicht: Mai 25, 2011 in Gedichte
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Ich bin gestrandet,
Am Arsch der Natur,
Wo ich auch hinseh,
Betonwüste pur.
Ich bin gestrandet,
Was mach ich hier nur,
Plattenbausiedlung,
Statt Liebe in Dur.
 
Alles voll Scheiße,
So richtig Scheiße,
Alles voll Scheiße,
So richtig Scheiße…
 
Jetzt heul ich den Mond an,
Weiß nicht was ich soll,
Ich komm nicht mehr weg hier,
Mein Leben spielt Moll.
Ich bin gestrandet,
Am Arsch dieser Welt,
Die Jacke zerrissen,
In den Taschen kein Geld.
 
Alles voll Scheiße,
So richtig Scheiße,
Alles voll Scheiße,
So richtig Scheiße…
 
 
© Sybille Lengauer

Der Morgen

Veröffentlicht: Mai 19, 2011 in Gefasel, Geschichten oder so ähnlich
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Am Horizont geht die Sonne auf. Grell, strahlend, fettgefressen. Strahlt mir auf die krebsgefährdete Haut und ich starre sie an und warte darauf, dass sie mich erblinden lässt. Rauche dabei eine Zigarette, wenn schon, denn schon. Unter meinen Füßen wölbt sich die Erde, ein kleines, zerbrechliches Ei im Weltraum. Ich grabe meine Zehen in die feuchte Wiese und rupfe ein wenig Gras aus. Der Wind bläst mir Asche ins Gesicht, weht sie direkt in meine Augen, die immer noch die Sonne anstarren und jetzt muss ich doch blinzeln, obwohl ich sie eigentlich anstarren wollte, bis sie aus Scham wieder untergeht. Sich umdreht und in ihrem Loch verschwindet. Diese arrogante Scheißkuh. Golden scheint sie, wärm und flüstert etwas von einem neuen Morgen. Während ich hier unten stehe und mir denke, dass ich mit dem Gestern noch nicht einmal angefangen habe, reißen schon die Vögel meine Trommelfelle ein und ich würde sie gerne dafür hassen, aber ich liebe sie zu sehr. Würde mich gerne anschließen und warum eigentlich nicht? Ich stelle mich breitbeinig hin und schreie in den neuen Tag, schreie dass ich HIER bin und dass das MEIN Platz ist. Mein Nachbar schreit jetzt auch und irgendwie klingen wir bei weitem nicht so lieblich wie die Amseln, die im Tannenbaum zwitschern. Denke wir sollten das lassen.
Ich schlage mir gegen die Stirn und hoffe, dass ein intelligenter Gedanke herausfällt. Hoffnung ist immer da, wo man zuletzt hinhaut. Aber ich sehe nur ein paar Sterne vor den Augen und mein Gehirn bleibt leer. Eine öde, verlassene Wüste, in der sich der Sand in langweiligen Spiralen dreht. Ausgedörrt von der Sonne, die auf meinen Schädel brennt. Ich schnippe die Zigarette weg, beschämt weil ich den Kampf verloren habe. Weil wieder ein Tag anbricht, der nichts bringen wird außer ein wenig mehr verronnene Zeit. Höre das Ticken meines Herzens. Gehe ins Haus. Drinnen ist es kühl, einsam und still. Mein Nachbar schickt mir einen kreativen Fluch hinterher und ich bewundere ihn kurz dafür. Dann werfe ich die Tür ins Schloss, weil mir sowieso keine schlagfertige Antwort einfallen würde. Ich lasse die Jalousien herunter, ziehe die Vorhänge zu und lege mich ins Bett. Starre in die Dunkelheit und sehe trotzdem noch die Sonne vor mir, die sich in meine Hornhaut eingebrannt hat. Jetzt verfolgt sie mich also schon in meine Wohnung. Seufzend schließe ich die Augen und da ist sie immer noch, strahlt mich an und ich denke, dass ich jetzt gleich verrückt werde, wenn ich es nicht schon längst bin.

Ich stehe wieder auf, gehe ins Bad und schmettere meine Faust in den Spiegel, der über dem zahnpastabefleckten Waschbecken hängt. Er zerbricht in tausend Stücke. Splitter bohren sich in meine Hand, sie blutet und schmerzt. Ich führe sie zum Mund und sauge an den Schnitten. Sehe mein Gesicht in tausenden Fragmenten zu mir aufblicken, als ich auf den Boden starre. Ich hebe die größte Scherbe auf, gehe damit durch das Wohnzimmer, zurück in den Garten. Halte es direkt in das aufgedunsene Gesicht der Sonne und blende jetzt sie, diese erbärmliche Verräterin, die mich in meiner ganzen Unzulänglichkeit erstrahlen lässt. Halte die Scherbe so fest, dass sie meine Finger zerschneidet, Blut läuft meine Arme hinunter, tropft auf die Erde, Edelstein im Weltraum. Ich schreie wieder, diesmal nicht mit den Vögeln sondern gegen sie, diese ekelerregend selbstherrliche Schlampe, die jeden Tag wieder auf mich herabglotzt. Die ich brauche und vermisse, wenn sie sich hinter Wolken verbirgt. Die ich herbeisehne, wenn Winter ist. Von der Straße kommen Sirenengeräusche. Mein Nachbar hat die Polizei gerufen und mich wundert das überhaupt nicht, immerhin ist er ein Spießer. Es klingelt an der Tür und ich stehe im Garten und schreie die Bullen an, dass sie sich verpissen sollen, weil ich hier etwas zu erledigen habe, dass nur mich und die Sonne etwas angeht. Humorlos wie sie sind, kommen sie durch die Gartentür geschossen und ich halte ihnen meine Spiegelscherbe entgegen, versuche sie damit zu blenden. Es hilft nichts. Sie dreschen auf mich ein, um mich davor zu beschützen, dass ich mich selbst verletze. Einer von ihnen bricht mir fast den Arm, damit ich die Scherbe loslasse. Dann drücken sie mich auf den Boden, pressen mein Gesicht in die Erde, Juwel des Kosmos. Ich fresse ein wenig Gras, dann ziehen sie mich auf die Beine.
„Eins zu Null für dich, Sonne.“ Denke ich, als sie mich in den Wagen zerren und dann muss ich lachen bis mir die Luft wegbleibt. Ich lache und kann nicht mehr aufhören, der Polizist auf dem Beifahrersitz schaut mich verwirrt an und ich lache ihm ins Gesicht. Dann wird mir schwarz vor Augen und ich sehe wieder den Punkt, den die Sonne in meine Netzhaut eingebrannt hat. Bis morgen.

© Sybille Lengauer

Naiv

Veröffentlicht: Mai 19, 2011 in Gefasel
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Leg dich hin, schließ die Augen und träume. Von einer Zukunft, die für uns arbeitet, von einem Leben, das sich nicht mehr in alle Dimensionen zu verschmieren scheint, sondern einfach fließt. Stell dir vor, dass es klappt, dass es läuft. Und dann lach nicht, bitte lach nicht, sei einfach ein wenig naiv. Nur ein bisschen, nur für mich.

Leg dich hin, schließ die Augen und träume. Von einem Tag an dem die Sonne nur für uns aufgeht, über einem Meer, das so glatt ist, dass der Himmel darin zu ertrinken scheint. Von einem Glück, das so klar ist wie der Kern eines Eisberges. Und dann lach nicht, bitte lach nicht, sei einfach ein wenig naiv. Nur ein bisschen, nur für mich.

Leg dich hin, schließ die Augen und träume. Von einem Ziel, das sich verwirklichen lässt, von einem Weg, der sind nicht in ein Labyrinth aus Sackgassen verwandelt, sondern einfach in die richtige Richtung führt. Von einer Idee, die nicht im Zynismus dieser Welt erstickt, sondern wächst und gedeiht. Und dann lach nicht, bitte lach nicht, sei einfach ein wenig naiv. Nur ein bisschen, nur für mich.

© Sybille Lengauer

Gegen Grau

Veröffentlicht: Mai 17, 2011 in Gefasel
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Gegen Grau

Gegen graue Morgenhimmel, gegen graue Spinnenseelen, gegen graue Hirngespinste.
Hirnmassenstaubgraue Lebensgeschichten.
Gegen graue Gramvisagen, gegen graue Betontodleichen, gegen graue Angstverkäufer.
Zahlungsrückstand im Kinderzimmer-Traumland.
Gegen graue Alltagsnörgler.
Wer spinnt hier eigentlich?
Gegen graue Zeitfaschisten.
Ich natürlich.
Gegengrau.
Ich natürlich.
Gegengrau.
Ich natürlich.
Natürlich gegengrau.

© Sybille Lengauer