Archiv für März, 2014

Sisyphos

Veröffentlicht: März 24, 2014 in Geschichten oder so ähnlich
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Aufwärts!
Lautet die Parole. Ohne Rücksicht auf Verluste, die Erstürmung ist Diktat. Heute wird der Olymp erklommen, nach Sisyphosmanier. Schleppst dich den Berg hinauf, der dich mit Eisesmine erwartet. Schiebst den Brocken. Stück für Stück nach oben. Mit blutigen Knien. Aufgeschürften Händen. Blasen an den Füßen. Hauptsache nach oben. Sturmumtost. Adlerumkreist. Im wilden Schneegestöber.
Was, wenn du stolperst? Was, wenn du fällst…
Immer weiter quälst du dich bergauf. Die Luft wird langsam dünner. Kannst du schon die Spitze sehen? Rotz läuft dir aus der Nase. Bildet Eisklumpen um den schmalen Mund. Du schniefst. Zuckst zusammen, weil dein Körper schreit. Kümmert dich später. Dort hinauf musst du. Immer weiter.
Doch wenn du stolperst. Wenn du fällst…
Die Angst davor treibt dich weiter. Lässt dich einen Schritt vor den nächsten setzen. Unten, das Tal ist längst im Nebel verschwunden. Ein graues Monster, das dich zittern macht. Es kann nur einen Weg geben. Irgendwo bellt ein Fuchs. Zu Kristallen erstarrte Flechten klammern sich an die schroffen Steine. Du hast keinen Blick dafür. Der Brocken ist zu schwer.
Aber wenn du jetzt stolperst. Wenn du jetzt fällst…
Hörst du die Götter lachen? Was kümmern sie deine Kalamitäten. Was kümmern dich die ihren? Du rollst nur weiter. Meter für Meter. Hast dein Ziel fest vor Augen. Nur das Geröll hier, das siehst du nicht. Merkst zu spät, dass deine Füße gleiten. Verlierst das Gleichgewicht.
Stolperst. Fällst…
All die Mühe.
Nur für den Abgrund.
Bis du wieder aufstehst.
Und noch einmal von vorn.
Aufwärts!
 
 
© Sybille Lengauer

Der Zeichner

Veröffentlicht: März 18, 2014 in Kurzgeschichten
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Er stöhnte müde und legte den Kohlestift aus der Hand. Drehte den dröhnenden Bass noch etwas lauter auf. Rieb sich das schmerzende Handgelenk. Schüttelte erst die rechte, dann die linke Hand. Schüttelte beide Hände zugleich. Dann den ganzen Körper. Der Zeichenblock glitt dadurch von seinem Schoß auf den krümelübersäten Boden. Scheiße. Ach was. Liegen lassen! Er nahm einen tiefen Schluck aus der Weinflasche. Warf die halbgerauchte Zigarette auf den Haufen mit den anderen Tabakleichen. Kroch langsam von der Couch auf den Boden. Ließ sich seufzend über die Zeichnung sinken. Schmierte sich selbst über das Papier. Millimeter für Millimeter. Roch den Kohlestaub. Fuhr mit der Zunge darüber. Krümel. Kacke. Überall Krümel. Zögerlich fragte sein Verstand, was er da eigentlich machte. „Nicht recht viel“, kam die Antwort vom restlichen System. „Weitermachen!“ brüllte er, so laut er konnte. Sofort konterte sein Mitbewohner mit einem herzhaften „Maul halten!“ aus dem Nebenzimmer.Etwas unbeholfen zog er sich an der Tischkante wieder in die Höhe. Hinterließ klebrig schwarze Fingerabdrücke. Schaute auf das verschmierte Papier. Kohlewirrwarr. Krümel. Etwas Spucke. Kunst? „Ach, leck mich!“ „Halt endlich die Fresse!“ dröhnte es von nebenan.

Er ließ seinen Blick durch das verlebte Zimmer schweifen. Blieb an dem Bild hängen, das von den glücklichen Tagen mit Marie erzählte. Hasste es aus tiefstem Herzen. Zwei Schritte, ein energischer Ruck und da lag es auf dem zertretenen Holzfußboden. „Scheiß auf Marie! Scheiß auf das Glück!“ Wütend griff er zum Kohlestift und kritzelte, so fest er konnte, über das Bild, über den Boden, über seine Hände, über sein Gesicht, das schon ganz nass war, vom Flennen und vom Schweiß. Die Weinflasche stand nah genug, um durch reinen Zufall in seine Hand zu schlüpfen. Schwungvoll warf er sie in das Chaos. „Yeah, Baby, das ist Fuck-you-Kunst!“ schrie er und aus dem Nebenzimmer kam keine Antwort, weil Dirk bereits in der Tür stand, das Gesicht so rot wie der Eingang zur Hölle. „Du dummes Arschloch, du selten dämliches…was, verdammt nochmal ist los mit dir?“ Dirk beglubschte wutschnaubend das Chaos. „Okay, weißt du was? Ich ziehe aus. Morgen.“ Ruckartig drehte er sich um und ging zurück in sein Zimmer. Knallte die Tür. „Scheiße.“ , schrie Dirk. „Scheiße.“

„Ja, das ist Fuck-you-Scheiße-Kunst.“, murmelte er zufrieden und legte sich in die Scherben. Seufzte tief. Schlief friedlich ein. Endlich.

© Sybille Lengauer

Feuer

Veröffentlicht: März 16, 2014 in Gedichte, Gefasel
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Du machst ein nettes Foto.
Von einem hübschen Teller.
Mit feinem Essen drauf.
Artgerechtes Gemüse, an glücklichen Fleischhäppchen.
Mit vollmundiger Champagnercreme.
Köstlich.
Lächelst in dich hinein.
Während mir hier gerade das Herz bricht.

Und wenn du ganz genau hinschaust.
Dann ist da so ein ganz schwacher Schimmer.
So ein Glimmen. Zarter noch als Insektenflügel.
Könnte ein Funke sein. Oder ein Staubpartikel.
Ist aber nur mein Gefühl.
Das gerade im Hinterhof verreckt ist.
Macht nicht viel.

Du hörst dein absolutes Lieblingslied.
Summst etwas schief mit.
Wippst ein bisschen mit dem Fuß dazu.
Rhythmus war noch nie so ganz deins.
Steckst dir einen Finger ins Ohr.
Hörst danach ein wenig besser.
Wunderbar.
Grinst glücklich vor dich hin.
Während mir hier gerade das Herz bricht.

Und wenn du ganz genau hinhörst.
Dann ist da so ein ganz leises Geräusch.
So ein Flüstern. Leiser noch als der Wind.
Könnte ein Seufzen sein. Oder ein Gähnen.
Ist aber nur mein Gefühl.
Das gerade im Straßengraben verreckt ist.
Macht nicht viel.

Du sitzt gemütlich im Kinosessel.
Stopfst dir Nachos in den Hals.
Mit doppelter Käsesauce.
Wischst dir ein paar Krümel aus dem Mundwinkel.
Die Sprenkel am T-Shirt hast du übersehen.
Ist nicht schlimm.
Du nimmst zufrieden einen Schluck eiskalte Cola.
Während mir hier gerade das Herz bricht.

Und wenn du ganz genau aufpasst.
Dann ist da so ein ganz leichter Hauch.
So ein Lüftchen. Sanfter noch als ein Kuss.
Könnte ein Gedanke sein. Oder ein Blinzeln.
Ist aber nur mein Gefühl.
Das gerade in der Gosse verreckt ist.
Macht nicht viel.


© Sybille Lengauer

Granit (Ein Steinlied)

Veröffentlicht: März 16, 2014 in Gedichte
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Du wütest durch mein Herz.
Ein Meißel.
Der mich in kleine Stücke schlägt.
Ich weine Tränen aus Granit.
Mitleid im Blick.
Weil es irgendwie schade ist.
Dass ich zerbrechen muss.
Graphitverschmiert.

Und du erfindest dich neu.
Ein strahlend frisches Ich.
Ohne mich.

Du rast durch mein Herz.
Ein Hammer.
Der mich zu feinem Staub zermalmt.
Ich weine Tränen aus Granit.
Mitleid im Blick.
Weil es irgendwie traurig ist.
Dass ich verschwinden muss.
Ausrangiert.

Und du erfindest dich neu.
Ein strahlend helles Ich.
Ohne mich.

Schon mal auf Sand gebaut?

© Sybille Lengauer