Der Raum war kalt und abweisend. Staub flirrte in blassen Sonnenstrahlen, der scheinbar nur zögernd durch das verdreckte Fenster schienen. Auf dem wurmstichigen Fensterbrett stand ein kleiner Blumentopf, in dem eine gelbliche Pflanze verdorrte. Fruchtfliegen schwirrten in sanften Bahnen durch die trockene Luft. Es roch nach Einsamkeit und geronnener Zeit. Ein alter Mann saß gebeugt auf einem Stuhl, malte zittrige Kreise auf den Plastiktisch. Mechanisch tauchte er seinen Zeigefinger in einen Kaffeebecher, leckte daran, zog einen neuen Kreis ins vergilbte weiß der Tischplatte. Ein alter Fernseher, der in seiner übertriebenen Größe den Raum beherrschte, plärrte sinnlose Werbebotschaften in sein Gehirn. Er hörte schon lange nicht mehr hin.
Ein dumpfer Knall ließ ihn aufschrecken. Gehetzt sah er sich in um, als wäre er aus einem schlechten Traum aufgewacht. Langsam stand er auf und ging zum Fenster, wobei er hörbar die Luft einsog, als er seine arthritischen Knochen streckte. Auf dem Sims lag ein zerzaustes Bündel Federn. Dünne Vogelbeine reckten sich in die Luft. Ein zerzauster, schwarzer Kopf lag auf der Seite, die Augen geschlossen. Eine kleine Amsel. Zitternd stellte der alte Mann den Blumentopf auf den Boden, öffnete das Fenster und griff vorsichtig nach dem Vogel. Als er ihn mit seinen Händen umschloss, fühlte er ein leichtes Zucken.
Mit großem Bedacht ging er zurück zum Tisch, legte die kleine Amsel vor sich hin und schaute zu, wie sie atmete. Wartete. Langsam öffnete der Vogel die Augen. Lag auf der Seite und pumpte Luft in seine zarte Lunge. Durch das geöffnete Fenster drang Kindergeschrei. Ein Zittern lief durch den Körper des Vogels. Er krampfte. Schloss seine gelb umrandeten Augen. Der alte Mann seufzte tief, stand langsam auf und holte eine Schuhschachtel aus dem Abstellraum. Er polsterte sie mit Zeitungspapier, dann legte er die kleine Amsel hinein. Schloss den Deckel und stellte die Schachtel auf das Fensterbrett. Setzte sich erneut an den Tisch. Seufzte. Tauchte seinen Finger in den Kaffeebecher und malte einen zittrigen Kreis. Die Zeit blieb wieder stehen.
Leises Rascheln aus der Schachtel ließ ihn innehalten. Ächzend stand er erneut auf, ging zum Fenster und öffnete den Deckel. Die kleine Amsel blickte ihm erschrocken entgegen. Das Gefieder unordentlich. Die Flügel leicht abgespreizt vom Körper. Aufgeplustert saß sie in den Zeitungen. Der alte Mann schaute erstaunt zurück. Er hob langsam die Schachtel und hielt sie aus dem Fenster. Der Vogel schien ihn zu verstehen, schüttelte sich kurz und schwang sich dann in den Himmel. Flog ein wenig ungelenk, landete jedoch sicher im Kastanienbaum, der den kleinen Innenhof beschattete. Dort blieb er sitzen und sang ein kurzes Lied.Der alte Mann stand am Fenster, beobachtete die Amsel im Baum und dachte nach. Ein paar Minuten später drehte er sich um und ging in den Abstellraum. Er holte die große Schachtel, in der einst sein Fernseher geliefert worden war. Polsterte sie mit Zeitungspapier aus und kletterte mühsam hinein.
Der Vogel in der Kastanie sang erneut sein kleines Lied, als der alte Mann den Deckel über der Schachtel schloss und wartete…
© Sybille Lengauer