(Ich muss mich entschuldigen, dieser Text ist zum Teil in Kursiv geschrieben. Der HTML-Textblock von WordPress kann das nicht umsetzen, bzw. es würde ewige Handarbeit erfordern, es einzupflegen. Der Visuell-Block kann zwar Kursiv anzeigen, reißt dafür aber die Gespräche, die am Anfag eines jeden Absatzes stehen, hässlich auseinander. Um es mit den Worten von Hermine Granger zu sagen: „Sieht nicht schön aus!“ Zwecks Lesbarkeit habe ich mich jetzt für den Visuell-Block entschieden, damit sind die Zeilen in Kursiv zumindest vorhanden und man versteht leichter die Sprünge in den Dimensionen. Tchuligom, ich bin ein Technik-Depp. Es grüßt, die Autorin)
„Moin.“
„Moin.“
„Alles klar?“
„Klar.“
Man hat sich nicht viel zu sagen an diesem kalten Morgen im Februar. Rauchend steht eine kleine Gruppe von Frauen im Windschatten eines altehrwürdigen Landgasthauses. Füße werden gescharrt, Hände gerieben, Nasen geschnäuzt. Alle husten, aber so ist das eben bei dieser verdammten Kälte. Während das erste Morgenrot vom anbrechenden Tag erzählt, betreten die Küchenkräfte einen modernen Anbau, der sich hinter dem ausladenden Hauptgebäude verbirgt und schnaufen die steile Treppe zum Umkleideraum hinauf. Jacken werden aufgehängt, Straßenschuhe gegen Küchencrocs getauscht. Eine studentische Aushilfe präsentiert bei dieser Gelegenheit stolz ihr erstes Tattoo, das, sorgsam unter durchsichtiger Folie verpackt, ihre schlanke Wade ziert. Es wird mäßig interessiert zur Kenntnis genommen. „Tut das nicht weh?“ fragt eine ältere Küchenhilfe. „Natürlich tut das weh.“ beantwortet eine Spülfrau die ewige Schmerzfrage und nickt der jungen Aushilfe wissend zu. Die zuckt nur mit den Schultern und lässt die Tätowierung unter ihrer weiten Stoffhose verschwinden. Manuela zieht die Bänder ihrer gelben Küchenschürze eng um die schmale Taille, bindet einen einfachen Knoten mit Schleife. „Es ist die Kopie einer uralten Tätowierung, die man an einer zweitausendfünfhundert Jahre alten Mumie gefunden hat.“ erklärt sie in etwas überheblichem Tonfall. Die laue Reaktion ihrer Kolleginnen hat sie enttäuscht. „Du hast dir eine uralte Mumie tätowieren lassen?“ versteht sie eine der Frauen absichtlich falsch. Die anderen lachen. „Genau, Adele. Ich habe mir eine uralte Mumie tätowieren lassen.“ antwortet Manuela. Sie rollt genervt mit den Augen und verlässt beleidigt den Umkleideraum. Das Spötteln der Kolleginnen folgt ihr die Treppe hinunter. Der Vormittag vergeht ereignislos. Waren und Getränke werden angeliefert, Beilagen und Salate vorbereitet. Manuela erledigt schweigsam die anfallenden Aufgaben und ignoriert die anzüglichen Mumien-Witze, die nun in der Küche kursieren. Ihre Pause verbringt sie demonstrativ mit dem zynischen Oberkellner, der sonst immer alleine raucht. Als ihre Schicht endet, verlässt sie die geschäftige Küche ohne sich zu verabschieden. Im Umkleideraum knüllt sie Kittel und Schürze achtlos in ihren Korb, tritt die Küchenschuhe in eine Ecke und schlüpft fluchend in ihre übergroße Daunenjacke.
„Hey, Baby!“
„Hey.“
„Na?“
„Na.“
Manuela nickt ihrem Freund zu, der gemütlich am niedrigen Wohnzimmertisch sitzt und einen Joint baut. Sie erwidert sein Lächeln nicht. Abgespannt und mit düsterem Blick steht sie im Türrahmen und gibt sich maulfaul. „Harter Tag, was?“ fragt Erik und krümelt Tabak aus einer Zigarette. „Ach, alles Idioten.“ Manuela schlurft mit hängenden Schultern ins Schlafzimmer, stellt ihren Korb auf den vollgehängten Wäscheständer, wirft Kittel und Schürze in den überquellenden Wäschekorb. Dann geht sie zurück ins Wohnzimmer und lässt sich ächzend auf die breite Couch fallen. „Die haben nur dämliche Witze gemacht.“ grummelt Manuela, während sie die Hose hochkrempelt und Folie von ihrer Tätowierung löst. Ein katzenartiges Wesen mit auffallend großen Ohren, hellen Flecken im nachtschwarzen Fell und einem langen, getüpfelten Schwanz schmiegt sich Rücken an Rücken an einen Widder, der seine Hinterläufe hoch in die Luft wirft, den geschwungenen Hals in einen unsichtbaren Himmel reckt und sein Maul weit aufreißt. Dunkle Blüten verzieren das Motiv der tanzenden Gewalten. „Witze?“ fragt Erik mit tränenden Augen und reicht den qualmenden Joint über den Couchtisch. „Wegen dem Tattoo.“ erklärt Manuela mit dunkler Stimme und raucht. „Des.“ verbessert Erik hustend. „Was?“ fragt Manuela gereizt, während sie die Luft anhält. „Wegen des Tattoos.“ Erik nimmt den Joint wieder entgegen. „Du mich auch.“ versetzt Manuela und hustet herzhaft. Erik inhaliert genüsslich und starrt versonnen an die Zimmerdecke. „Ich finde dein neues Tattoo ganz außergewöhnlich.“ bekennt er der Deckenlampe. „Ach, findest du?“ fragt Manuela mit belegter Stimme. „Geradezu anbetungswürdig.“ säuselt Erik, der sie ansieht und sich die Andeutung eines Grinsens erlaubt. „Ach ja?“ Manuelas Augen werden glasig, die entspannende Wirkung der Droge glättet ihre Verstimmung. „Na dann bete mal, du kleiner Glaubenskrieger.“ Sie zeigt ein schmales Lächeln und reckt das Bein über den Tisch. Erik greift nach ihrem Knöchel, haucht Küsse in Richtung Wade. „Ich bete dich an, oh göttliches Tierwesen, dessen geheiligte Linien die Haut dieser elenden Ungläubigen zieren…“ „Hey!“ ruft Manuela dazwischen. „…deren Füße zu küssen ich nicht würdig bin.“ fährt Erik mit einem schiefen Lächeln fort. Rauch quillt aus seinen Nasenlöchern. Manuela lacht herzlich. „Ich bringe dir, oh Lichtgestalt, dieses bescheidene Brandopfer dar, und alle, die noch folgen mögen.“ Mit ernstem Gesicht nimmt Erik einen tiefen Zug vom Joint und bläst eine dicke Rauchschwade über Manuelas Bein. Irgendwo tief, tief unten in den verborgenen Schichten der Erde, öffnet eine ruhende Gottheit ihre goldenen Augen. „Hör auf, bist du bescheuert?“ ruft Manuela lachend und zieht das Bein zurück. „Du hast echt einen Knall.“ stellt sie amüsiert fest. „Ich liebe dich.“ sagt Erik nur und reicht ihr den Joint. Die Zeit dümpelt im warmen Wohnzimmer dahin, der Abend versandet zur Nacht. Erik und Manuela liegen sich auf der breiten Couch gegenüber, Erik streichelt geistesabwesend Manuelas Füße, während die nur mit halb geschlossenen Augen auf den flimmernden Fernseher starrt. Kurz bevor sie einschläft, gibt Erik ihr einen sanften Schubs. „Geh ins Bettchen.“ sagt er sanft. „Krzfz.“ murmelt Manuela. „Scha-hatz.“ brummt Erik und rüttelt liebevoll an ihrem großen Zeh. „Ichgehjaschon.“ nuschelt sie, dreht sich um und schläft ein. Seufzend schält sich Erik von der Couch, er stellt den riesigen Fernseher aus und trottet alleine ins Schlafzimmer. Manuela schnarcht leise. Ihre Augenlider zucken, während der Körper tiefer in den Schlaf gleitet. „Hallo? Ist da jemand!“ Manuela steht inmitten einer ausgedehnten Graslandschaft und spürt, wie ein scharfer Windstoß ihre Worte in der Luft zerreißt. Der Himmel über ihrem Kopf ist tiefschwarz, nicht ein Stern zeigt sich in der Finsternis. In weiter Ferne recken sich die schneebedeckten Gipfel eines Gebirges aus der dunklen Ebene. Manuela fröstelt. „Hallo!“ ruft sie wieder und läuft in langen Schritten auf die schimmernden Berge zu. Ihre Füße rascheln geräuschvoll durch die trockenen Halme. Zu ihrer Linken fliegt plötzlich eine Großtrappe auf. Die Flügelspitzen des mächtigen Vogels sprühen Funken und setzen das wogende Grasland in Brand. Manuela schwebt über dem rasenden Feuer, betrachtet das lodernde Inferno aus großer Höhe. Fragt sich nicht, wie sie den Boden verlassen hat. Traumsicher gleitet sie über der Szenerie, wendet sich erneut den Bergen zu. „Ist da jemand!“ ruft sie wieder und wird von einem scharfen Windstoß in der Luft zerrissen.
„Hey.“
„Hey.“
Manuela sitzt zusammengekauert im Bus, nickt einem bekannten Gesicht zu und starrt dann wieder auf das Display ihres Handys. Sie verspürt kein Bedürfnis nach Smalltalk. Die Nacht war kurz, die Träume waren schlecht, die Uni beginnt viel zu früh. Der Bus befördert Schüler und Studenten aus dem Dorf in die nahe gelegene Kleinstadt, speit seine jugendliche Ladung am Bahnhof aus. Manuela schlurft zum schäbigen Bahnsteig, achtet dabei nicht auf die Menschen, die mit ihr strömen. Mit gesenktem Kopf betritt sie die wartende Bahn und blickt nur auf, um einen Sitzplatz zu suchen. Es gibt keinen. Manuela schnaubt frustriert. Eine ältere Dame, die neben ihr steht, nickt wissend. „Uns lassen die hier stehen,“ sagt sie, sieht Manuela dabei mürrisch ins Gesicht „aber den Ausländern, denen schieben sie es hinten rein.“ Manuela wendet genervt den Blick ab. Tut, als würde sie die Frau nicht hören. „Das wird man ja noch sagen dürfen.“ beschwert sich die alte Dame und schwankt heftig, als sich der Zug in Bewegung setzt. Ihre giftigen Worte verebben im Sog der Geräusche, die den Großraumwaggon erfüllen. Ein Handy klingelt unmelodiös. Ein Mann in mittleren Jahren beginnt ein zorniges Streitgespräch mit seiner Frau. Studenten plappern über die Uni, den Teilzeitjob, das Zuhause. Irgendwo jammert ein kleines Kind. Manuela reibt sich gereizt die Schläfen. Am Zielbahnhof verlässt sie erleichtert den stickigen Zug. In wenigen Minuten hat sie den nahe gelegenen Campus erreicht. Sie weicht den anderen Kommilitonen aus, bringt die Strecke hinter sich, ohne in ein Gespräch verwickelt zu werden. An der Universität kommentiert nur der Professor für französische Geschichte ihre dunklen Augenringe mit einer spöttischen Bemerkung, sonst wird sie von niemandem zur Kenntnis genommen. Desinteressiert folgt Manuela den Kursen, die an diesem Tag auf ihrem Programm stehen. Sie arbeitet nicht mit, schreibt nichts auf, spricht nicht mit den anderen Studenten. Mittags entscheidet sie, die restlichen Kurse auszulassen und nach Hause zu fahren. Manuela friert und schwitzt gleichzeitig, fühlt sich ausgelaugt, erschöpft und leidet unter Kopfschmerzen. Nach einer eintönigen Zugfahrt zurück in die Kleinstadt wartet sie ergeben im gläsernen Bushäuschen auf den Anschlussbus. Erfolglos zittert sie gegen den eiskalten Februarwind an. Das letzte Stück des Weges verschläft sie im überheizten Bus, träumt fragmentarisch von züngelnden Flammen und schimmernden Bergketten, die lautlos nach ihr rufen. Der Busfahrer hupt Manuela an ihrer Haltestelle wach. Man kennt sich. Manuela dankt mit einem Nicken und fällt beim Aussteigen fast aus dem Bus. Zuhause angekommen lässt sie sofort heißes Wasser in die Badewanne laufen. Sie zieht sich mit klappernden Zähnen aus, wirft ihre Kleidung achtlos auf den schwarz-weißen Fliesenboden und klettert umständlich in die dampfende Badewanne. Das tätowierte Bein lässt sie gewissenhaft vom Rand der Wanne baumeln, um das Tattoo nicht nass zu machen. Als die wohlige Hitze des Bades ihren schlotternden Körper durchflutet, pinkelt sie mit einem behaglichen Seufzen ins Wasser.
„Hey, Baby!“
„Hey.“
„Na?“
„Na.“
Manuela liegt auf der breiten Wohnzimmercouch, hat sich unter zwei kuscheligen Decken vergraben. Im Fernsehen läuft ein alter Western, der Ton ist sehr leise eingestellt. Erik durchquert mit raschen Schritten den stickigen Raum und küsst sanft Manuelas glänzende Stirn. „Du glühst ja förmlich.“ sagt er erschrocken und macht ein ernstes Gesicht. „Krank.“ krächzt Manuela. „Das sehe ich.“ Erik verlässt das Wohnzimmer und rumort in der Küche. Nach wenigen Minuten kehrt er mit einer Tasse Tee zurück. „Danke.“ Manuela nimmt die Tasse entgegen und pustet. Erik setzt sich an den Rand der Couch, holt eine metallene Schatulle unter dem Tisch hervor und beginnt methodisch, einen Joint zu bauen. „War fürchterlich heute.“ flüstert Manuela und Erik nickt wissend. „Bei mir auch.“ seufzt er und dreht einen Filter zwischen seinen Fingern rund. „Die 6B ist ein Alptraum.“ setzt er düster hinzu. „Ist nicht mehr lange.“ tröstet Manuela. „Ferien helfen da auch nicht.“ Erik krümelt Tabak aus einer Zigarette, vermischt diesen mit Gras und streut das Gemisch auf ein langes Blättchen. Sorgsam legt der den Filter dazu, dann rollt er das Papier ein, benetzt den Klebestreifen mit der Zunge, dreht die Spitze des Blättchens zu, schüttelt. „Alles scheiße.“ kommentiert er die allgemeine Situation. Er brennt den Joint an, raucht, atmet tief ein und schließt kurz die Augen. „Schon etwas besser.“ sagt er und bläst eine Rauchwolke aus. „Will auch.“ lässt sich Manuela aus ihrer Deckenburg vernehmen. Erik reicht die Tüte weiter. In den tiefen Eingeweiden der Erde regt sich die goldäugige Gottheit. Das Wesen streckt seine erwachenden Sinne hinauf bis an die Oberfläche der Welt, tastet suchend nach den Menschen, die das Brandopfer darbringen. Unsichtbare Augen beobachten das seltsame Pärchen, das matt auf der Wohnzimmercouch lümmelt und raucht. Die Gottheit lauscht. „Ich möchte die Klasse abgeben.“ sagt Erik gerade. „Geht das?“ fragt Manuela hustend und reicht den Joint zurück. „Hm.“ macht Erik nur. Er raucht und starrt auf den Fernseher. Clint Eastwood stapft mit finsterer Mine durchs Bild, aber Erik hat keine Augen für den Helden des Western. „Ich hätte Tischler werden sollen.“ sagt er resigniert. „Dafür bist du zu ungeschickt.“ versetzt Manuela bissig. „Pass schön auf, du junges Gemüse.“ knurrt Erik. „Alter Sack.“ ätzt Manuela. Beide grinsen. Der Joint geht zu Ende, der Western hört auf, die Guten gewinnen. Erik bringt Manuela ins Bett, cremt fürsorglich ihr neues Tattoo ein, deckt liebevoll ihren zitternden Körper vom Hals bis zu den Zehenspitzen zu und wünscht eine gute Nacht. Warm und watteweich verpackt, fällt Manuela schnell in einen unruhigen Schlaf. Die weite Ebene steht in Flammen, brennt lichterloh bis zum Horizont. Körperlos schwebt Manuela über dem Meer aus Feuer, wendet ihren Blick den Bergen zu, die in der Ferne schimmern. Eine tiefe Sehnsucht zieht an ihrer Seele. Manuela träumt sich zum Albatros. Sie atmet beißenden Rauch, der in dicken Säulen aufsteigt, fühlt sengende Hitze, die ihren gewaltigen Flügeln Aufschwung verleiht. Im Lidschlag eines Augenblicks denkt sie sich zu den schneebedeckten Gipfeln, gleitet majestätisch über den glitzernden Schneefeldern. Manuela träumt sich zum Steinadler. Sie landet auf einem kahlen Felsen und starrt mit dunklen Augen angespannt in den sternlosen Himmel. Goldglänzende Augen starren aus der endlosen Schwärze zurück. Der Adler sträubt erschrocken das Nackengefieder, wird zu einer kleinen Rötelmaus. Manuela springt hektisch vom Felsen und versteckt sich in einer schmalen Ritze zwischen den Steinen. Die Angst lässt ihr winziges Mäuseherz rasen. Die goldenen Augen folgen ihr in die Dunkelheit des Verstecks. Starren. Manuela der Schneehase schießt mit aufgerissenem Maul zwischen den Steinen hervor und rast, wilde Haken schlagend, über das Schneefeld davon. Die goldenen Augen sehen ihr teilnahmslos hinterher und schließen sich langsam.
„Guten Morgen, Baby.“
„Meh.“
„Wie geht es dir?“
„Furchtbar.“
Erik beugt sich über das Bett und befühlt vorsichtig Manuelas heiße Stirn. Er schüttelt den Kopf und setzt ein strenges Gesicht auf. „Du bleibst heute schön Zuhause.“ verkündet er mit tiefer Pädagogenstimme. „Jawohl, Herr Doktor.“ antwortet Manuela und winkt schwach mit der Hand. Erik hilft ihr aufzustehen, führt sie sanft ins Wohnzimmer. Er bringt Tee und eine Wärmflasche an die Couch, stellt Manuelas Laptop auf den niedrigen Tisch und legt die Fernbedienung in Reichweite. „Fehlt noch etwas?“ fragt er und sieht sich dabei suchend im Wohnzimmer um. „Ich könnte ein wenig Entspannung vertragen.“ brummt Manuela, die wieder unter zwei kuschelige Decken gekrochen ist. „Natürlich.“ Erik holt seine Schatulle hervor und dreht geschickt zwei formschöne Joints, die er neben den Aschenbecher legt. Dann steht er mit einem bedauernden Seufzen auf und geht ins Badezimmer. Manuela zappt missmutig durch die unzähligen Fernsehprogramme, lauscht dabei auf die Geräusche, die Erik beim Duschen verursacht. Sie hat nur eine diffuse Erinnerung an den Traum der letzten Nacht, erinnert sich vage an das Gefühl des Fliegens und den Geruch von Todesangst im kalten Schnee. Manuela verdrängt den unangenehmen Gedanken. Sie verzieht das Gesicht, als der frisch geduschte, ordentlich frisierte und adrett gekleidete Erik ihr zum Abschied einen dicken Kuss auf die spröden Lippen drückt. „Ich werde dich noch anstecken.“ grummel sie ihm hinterher. „Dann kann ich auch auf der Couch bleiben.“ kontert Erik und geht. Manuela liegt schlapp auf der Couch, zappt lustlos durch die Programme, nippt Tee. Immer wieder wandert ihr Blick zu den beiden Joints, die neben dem Aschenbecher liegen. Zeit vergeht. „Ach, scheiß drauf.“ Manuela entscheidet sich für eine alberne Kindersendung, legt die Fernbedienung zur Seite und zündet einen Joint an. Sie raucht bedächtig, bläst dicke Rauchschwaden in die Luft und kommentiert gereizt die dümmliche Handlung der Sendung. Ein unangenehmer Schmerz fährt plötzlich durch ihre Wade. „Verdammt.“ Manuela legt den Joint in den Aschenbecher, krempelt die weite Jogginghose hoch und starrt mit gerunzelter Stirn auf die verschlungenen Linien, die ihr Bein verzieren. Die Tätowierung tanzt. Katze und Widder umwinden sich in einem verschlungenen Reigen, Blumen erblühen wie Tuschflecken auf ihrer blassen Haut. „Was zur Hölle?“ entfährt es Manuela, erschrocken lässt sie aufgestauten Rauch aus ihren Lungen entweichen. Goldene Augen öffnen sich überall im Wohnzimmer. „Scheiße!“ schreit Manuela und springt von der Couch hoch. Die Augen folgen ihrer Bewegung, schweben überall im Raum. Manuela hastet in den Flur, doch auch dort begegnen ihr goldene Blicke. „Was soll das?“ schreit sie entsetzt. „Was soll das.“ flüstert ein knisterndes Echo. Manuela erstarrt. „Hallo?“ fragt sie zaghaft. „Hallo.“ knistert das Echo. „Wer ist da?“ flüstert Manuela mit hoher Stimme. Sie schreit auf, als ihr ein heißer Windstoß ins Gesicht fährt. „Ich bin der Schatten im nächtlichen Dämmerwald, ich bin das Schimmern der wogenden See, ich bin der Atem, der über die Sanddünen hallt, ich bin das Lawinenlied, oben im Schnee.“ singt das Knistern. „Was?“ Manuela steht mit offenem Mund im Flur und glotzt. Die goldenen Augen streben einander zu, vereinen sich zu einer glänzenden Masse die wild pulsierend beginnt unterschiedliche Formen anzunehmen. Körper fließen ineinander, Hase, Widder, Steinbock, Kröte, Tiger, Rentier, Leopard, Schwalbe. Schließlich richtet sich die Form eines goldenen Mannes auf. „Wie?“ fragt Manuela fassungslos. Der gesichtslose Mensch breitet feierlich die Arme aus. „Es ist an der Zeit, meinen Namen zu nennen.“ knistert die Stimme und ein weiterer, glutheißer Windstoß fegt durch den Flur. „Wie bitte?“ Manuelas Knie zittern. „Nenne meinen Namen.“ fordert das Knistern. „Ich kenne deinen Namen nicht!“ flüstert Manuela entsetzt. „Du kennst ihn.“ flüstert die Stimme. Das goldene Wesen nimmt eine fordernde Haltung ein. „Oscar?“ quietscht Manuela und verflucht sich im selben Augenblick. „Oscar.“ knistert die Stimme befriedigt. Der Mann neigt den Kopf, faltet die klobigen Hände vor der Brust und verschwindet ins Nichts. Manuela steht allein im düsteren Flur und zittert heftig. „Ich rauche nie wieder.“ flüstert sie, dann läuft sie zur Toilette und übergibt sich.
„Oscar?“
„Hör auf zu lachen.“
„Du hast ihn Oscar genannt?“
„Hör endlich auf zu lachen.“
Erik krümmt sich. Tränen laufen über sein verzerrtes Gesicht. Manuela starrt ihn feindselig über den Couchtisch hinweg an. „Ich meine Brahma, Wotan, Voldemort, das sind starke Namen für eine Halluzination. Und du nennst ihn Oscar.“ Erik kichert. Manuela wirft mit einem Kissen nach ihm. „Du Arsch,“ faucht sie schwach, „ich hatte echt Panik.“ „Na, na.“ macht Erik. Er wirft das Kissen zurück und deutet mahnend auf den Joint in seiner Hand. „Geh mir weg mit dem Scheiß.“ schmollt Manuela. „Du musst ja nicht.“ besänftigt Erik. Er legt den Joint in den Aschenbecher und setzt sich zu ihr auf die Couch. Manuela sieht ihn finster an. „Du machst dich nur lustig über mich.“ sagt sie mit Tränen in den Augen. „Weil ich dich zum Lachen bringen möchte, Liebling.“ Seine Stimme ist weich und eindringlich. „Mir ist aber nicht nach Lachen.“ murrt Manuela. „Wer lacht kann keine Angst haben.“ erwidert Erik und lächelt aufmunternd. „Ha. Ha.“ macht Manuela. Erik nimmt sie tröstend in den Arm. „Da sind ein paar Synapsen in deinem Gehirn ein bisschen ausgeflippt und haben eine kleine Party veranstaltet. So what? War bestimmt das Fieber.“ versichert er gutmütig. „Bestimmt.“ murmelt Manuela und verkriecht sich in Eriks Umarmung. Die Wärme seines Körpers und der beruhigende Bass seiner Stimme geben ihr ein angenehmes Gefühl. „Ich rauche wirklich nie, nie wieder.“ Manuela versteckt ihren Kopf in Eriks Pullover. „Ist in Ordnung, Baby.“ versichert er und streichelt sanft über ihren Rücken. „Komm, wir sehen uns einen deiner bescheuerten Liebesfilme an.“ „Ich hasse Liebesfilme!“ Manuela windet sich in seiner Umarmung. „Dann eben Gewalt.“ brummt Erik. „Okay.“ antwortet es aus den Falten seines Pullovers. Beide schaffen es nicht, bis zum Ende des mäßigen Horrofilms wach zu bleiben. Es ist spät in der Nacht, der Fernseher läuft, wirft flimmernde Bilder über das schlafende Pärchen. Ein Talkshow-Moderator strahlt mit zahnpastaweißem Lächeln sein applaudierendes Publikum im Studio an. Seine goldenen Augen zwinkern schelmisch einem hübschen Mädchen in der ersten Reihe zu, das daraufhin in Flammen aufgeht. Der nächste Tag beginnt mit einem späten Frühstück im Wohnzimmer. Es ist Samstag Vormittag und Erik hat beim Bäcker um die Ecke belegte Brötchen gekauft. Manuela greift beherzt zu. Eine traumlose Nacht liegt hinter ihr, sie hat tief und fest geschlafen. „Dein Fieber scheint weg zu sein.“ stellt Erik fest. „Es geht mir schon viel besser.“ bestätigt Manuela mit vollem Mund. Gierig greift sie nach ihrer Tasse, schlürft genüsslich warmen Kaffee mit viel Milch. Erik lächelt und beißt zufrieden in sein Brötchen. Nach dem ausgiebigen Frühstück und einer belanglosen Plauderei wagt er einen Vorstoß. „Wollen wir uns dein Tattoo mal ansehen?“ fragt er mit weicher Stimme. „Meinetwegen.“ Manuela versucht ihre Nervosität zu verstecken, doch es gelingt ihr schlecht. Mit übertriebener Vorsicht krempelt sie das Bein der Jogginghose hoch, hält dabei unbewusst die Luft an und starrt gebannt auf das Tattoo. „Ist ganz normal.“ stellt Erik nach einer Weile fest. „Total normal.“ haucht Manuela erleichtert. Erik drückt ihr einen Kuss auf die Stirn. „Du mächtige Schamanin.“ flüstert er. „Du Arschloch.“ erwidert Manuela liebevoll. Der Vormittag plätschert dahin, im Fernsehen läuft eine beliebte Zeichentrickserie. Erik dreht ganz beiläufig einen Joint. Manuela sieht ihm nachdenklich dabei zu. „Ich möchte wirklich nicht.“ lehnt sie ab, als er sie fragend ansieht. Erik nickt verständnisvoll. Er zündet den Joint an und bläst einen dicken Rauchring zum Fernseher. Es knistert. Der Bildschirm verwandelt sich in flüssiges Gold. Manuela und Erik erstarren auf der Couch. Sekunden vergehen in absoluter Reglosigkeit. „Es brennt wieder!“ schreit Manuela plötzlich und reißt hektisch das Hosenbein nach oben. Die schwarzen Linien ihrer Tätowierung tanzen eng umschlungen über ihre Wade. „Fuck.“ haucht Erik. „Du siehst es auch!“ „Oh Fuck.“ wiederholt Erik nur. Der goldene Fernsehbildschirm fließt lautlos auf den Wohnzimmerboden und manifestiert sich in Menschenform. „Oscar.“ flüstert Manuela entsetzt. Erik prustet hysterisch. „Oscar.“ knistert das Echo zufrieden und ein heißer Windstoß fegt durch das Wohnzimmer, wirbelt Staub von den Regalen. „Oh, wow.“ macht Erik. Manuela starrt den goldenen Mann mit weit aufgerissenen Augen an. „Das ist keine Halluzination.“ bricht es aus ihr heraus. Erik nickt stumm, starrt mit offenem Mund. „Sag etwas.“ flüstert sie. „Was?“ piepst Erik und klappt den Mund zu. „Ich weiß nicht.“ zischt Manuela. Die goldene Gestalt macht einen Schritt auf die Couch zu. Manuela zuckt erschrocken zurück, Erik schnellt in die Höhe. „Verschwinde du Mistvieh!“schreit er lauthals und fuchtelt mit leeren Händen durch die Luft. „Es ist an der Zeit, die Kultstätte zu errichten.“ knistert die Stimme. Der goldene Körper hebt feierlich die Arme zur Zimmerdecke. „Bitte was?“ Erik hält verdutzt inne. „Kultstätte?“ fragt Manuela, die sich tief in die Couch drückt. Ihr Blick wandert zwischen dem gesichtslosen Wesen und Eriks entgleisten Gesichtszügen hin und her. „Drei Tage.“ verkündet das Knistern und die goldene Manifestation löst sich in einem heißen Luftstoß auf. Der Fernseher flimmert, das Bild kehrt zurück, zeigt eine lustige Zeichentrickfamilie.
„Baby, wir können doch keine Kultstätte bauen.“
„Und was passiert wenn wir das verdammte Ding nicht bauen?“
„Ich habe keine Ahnung was dann passiert. Aber ich baue ganz bestimmt keine Kultstätte!“
„Wenn du noch einmal Kultstätte sagst, verlasse ich die Wohnung!“
Ein Streit ist nach dem Verschwinden des Wesens entbrannt. Wer ihn begonnen hat, warum er gerade jetzt geführt wird, es ist nicht zu ergründen. Die Nerven liegen blank und so entlädt sich die Stimmung in einem hitzigen Gewitter. Manuela sitzt mit zorngerötetem Gesicht vor ihrem Laptop. Sie sucht im Internet nach Antworten, ein vollgeschmierter Notizblock mit krakeligen Skizzen liegt neben ihr auf der Couch. Erik wandert gereizt im Zimmer auf und ab. „Das ist doch total bescheuert.“ mault er. „Du bist total bescheuert.“ versetzt Manuela leise. Erik grunzt und stapft weiter durchs Zimmer. „Vielleicht ist das so eine Art abgefuckte Reality-Show und am Ende war alles nur Spaß?“ überlegt Manuela laut. „Das kannst du deinem Frisör erzählen.“ motzt Erik gereizt. „Ich gebe mir wenigstens Mühe!“ Tränen schimmern in Manuelas Augen. „Tut mir leid.“ lenkt Erik ein. „Wir müssen eine Möglichkeit finden, dieses Ding loszuwerden.“ setzt er hinterher. „Wie stellst du dir das vor?“ fragt Manuela und wischt Feuchtigkeit aus ihren Augenwinkeln fort. „Keine Ahnung. Uns fällt schon etwas ein.“ Erik lässt sich auf die Couch fallen, ächzend zückt er sein Handy. „Ich würde jetzt wirklich gerne rauchen.“ seufzt er niedergeschlagen. „Nichts da.“ Manuela sieht ihn scharf an. „Ich weiß, ich weiß.“ Missmutig durchforsten sie gemeinsam das Internet. Suchen in Foren und Onlinezeitungen nach Berichten über die tätowierte Mumie, nach goldenen Augen, Bildern religiöser Kultstätten und den Zeilen des eigenartigen Gedichts, an die sich Manuela noch erinnern kann. Das Wort ‚Lawinenlied‘ erzielt mehrere Treffer. Aufgeregt liest Erik einen Artikel vor. Er handelt von Brauchtumspflege und Musikfirmen, die Lizenzrechte an Volksliedern aufkaufen. Nichts an dem kurzen Bericht erscheint hilfreich. „Ach verdammt.“ flucht Erik, er wirft das Handy frustriert auf den Tisch und trollt sich ins Badezimmer. Manuela durchforstet weiter das Internet. Als Erik, nach Duschgel und herbem Aftershave duftend, zurück ins Wohnzimmer kommt, präsentiert sie stolz eine Internetseite auf dem Laptop. „Was ist das?“ fragt Erik und setzt sich zu ihr. „Der Liedtext.“ sagt Manuela triumphierend. „Sehr gut. Lies vor.“ Erik greift gedankenverloren nach der Schatulle unter dem Tisch. „Nein.“ sagt Manuela laut. Erik murmelt eine Entschuldigung und legt die Schatulle zurück. „Hör zu.“ fordert sie und liest: „ ‚Er ist der Schatten im nächtlichen Dämmerwald, er ist das Schimmern der wogenden See, er ist der Atem, der über die Sanddünen hallt, er ist das Lawinenlied, oben im Schnee. Er ist das Feuer, das unsere Sünden verbrennt, er ist der flammende Blick, der unsre Makel erkennt, tausend Augen ruhen schauend im goldenen See‘.“ Manuela sieht Erik gespannt an. Der zuckt nur mit den Schultern. „Was soll uns das bringen?“ fragt er. „Na wir wissen jetzt, dass das Lied existiert. Und wir wissen auch, dass dieses Ding schon einmal gesehen wurde. Sonst gäbe es ja das Lied nicht!“ sprudelt es aus Manuela heraus. „Und weiter?“ Erik zieht skeptisch eine Augenbraue hoch. „Nichts weiter.“ Das aufgeregte Leuchten verschwindet aus Manuelas Gesicht. Eine unangenehme Stille breitet sich im Wohnzimmer aus. „Lass uns die blöde Kultstätte bauen.“ sagt Erik niedergeschlagen.
„Das ist bescheuert.“
„Es ist cool.“
„Total daneben.“
„Ich finde es sieht gut aus.“
Manuela und Erik stehen vor dem hölzernen Schrein, den sie in den vergangenen drei Tagen gebastelt haben. Der Schrein steht auf einem Podest aus Pressspanplatten und ist mit goldener Glanzfolie überzogen. Das Podest ist schwarz lackiert und mit rotem Stoff umwickelt. Kunstblumen und frische Birkenzweige runden das Bild ab. Im Schrein steht eine goldene Siegerstatue, die einen Lorbeerkranz in Händen hält. Zu ihren Füßen flackern elektrische Teelichte. „Das ist doch lächerlich.“ brummt Erik gereizt. „Hilf mir lieber mit den Aufstellern.“ faucht Manuela und geht in den Flur. Erik folgt ihr, schüttelt dabei nur unwillig den Kopf. Gemeinsam tragen sie ein langes, schmales Paket ins Wohnzimmer. Es dauert nicht lange die Pappaufsteller zusammenzubauen. Nach wenigen Minuten sind die lebensgroßen Oscar-Figuren fertig. Manuela stellt sie rechts und links neben dem Podest auf. Sie mustert das Ergebnis kritisch, rückt ein paar Blumen um den Schrein zurecht, nickt und räumt die Paketreste in den Flur. Erik steht nur da, starrt die riesigen Pappaufsteller an und zieht ein finsteres Gesicht. „Hör endlich auf zu schmollen.“ versetzt Manuela gereizt, als sie wieder ins Zimmer kommt. Sie setzt sich auf die Couch und betrachtet die fertige Kultstätte. „Sieht schön aus.“ stellt sie fest. „Und jetzt?“ fragt Erik, der sich nicht von der Stelle bewegt hat. „Jetzt weihen wir sie ein.“ antwortet Manuela düster und holt die metallene Schatulle unter dem niedrigen Tisch hervor. „Ich habe nachgedacht. Da Oscar immer erscheint wenn wir kiffen, muss es eine Verbindung zwischen den Joints und dem Tattoo geben. Wir rauchen also und er wird kommen.“ „Und dann?“ „Dann sehen wir weiter. Die Tage sind ohnehin um.“ Erik setzt sich kopfschüttelnd an den Couchtisch und öffnet die Schatulle. Ein kleines Lächeln umspielt seine Lippen, als er das Tütchen mit Gras auspackt. „Das sollte dir wirklich keinen Spaß machen.“ zischt Manuela. Sie streicht nervös über das Tattoo an ihrer Wade. „Wie fühlst du dich?“ fragt Erik sanft, die Aussicht auf das Rauchvergnügen glättet seine Verstimmung. „Ängstlich. Verwirrt. Müde. Zornig. Such es dir aus.“ Manuela betrachtet die Tätowierung mit gerunzelter Stirn, wendet dann resigniert den Blick ab. „Aber du fühlst dich nicht mehr fiebrig, oder?“ fragt Erik weiter. „Nein, alles prima.“ Manuela beobachtet seine Hände. Erik dreht routiniert den Joint, platziert ihn sorgfältig im Aschenbecher und legt die Hände in den Schoß. Eine Minute vergeht. „Ich trau mich nicht.“ flüstert er schließlich, sitzt dabei vor dem Aschenbecher wie die Maus vor der Falle. „Ach scheiße.“ Manuela schnappt sich den Joint, nimmt das Feuerzeug vom Tisch und brennt die Spitze der Tüte ab. „Heil dir, oder so.“ sagt sie mit einem Nicken zum Schrein hin, zündet den Joint an und raucht. Sie zieht schnell hintereinander, behält den Rauch in der Lunge, gibt den Joint weiter an Erik. Der zieht lange, schließt genießerisch die Augen. Manuela hustet. „Merkst du schon etwas?“ fragt Erik und reicht den Joint zurück. „Bisher nicht.“ Manuela betrachte die schwarzen Linien des Tattoos mit zusammengekniffenen Augen und zuckt dann mit den Schultern. Sie raucht wieder. „Vielleicht haben wir irgendetwas übersehen.“ murmelt sie und reicht den Joint zurück, ohne aufzusehen. Erik reagiert nicht. „Schatz?“ fragt Manuela und blickt auf. Goldene Augen starren ihr aus Eriks Gesicht entgegen. Manuela springt mit einem entsetzten Schrei von der Couch. Im selben Moment entzünden sich die lebensgroßen Oscar-Pappaufsteller mit einem lauten Zischen. Manuela versucht kreischend in den Flur zu flüchten, aber die brennenden Pappaufsteller versperren ihr den Weg. Hellgelbe Flammen züngeln gierig über den Boden, schlagen bis an die Zimmerdecke, der Vorhang am Fenster fängt lodernd Feuer. „Aufhören!“ Manuela bleibt entsetzt stehen und reißt hilflos die Hände in die Luft. Die Flammen ziehen sich langsam zurück, züngeln blau und orange über die Wände, fließen zum Podest und verlöschen am Fuße des Schreins. Die Oscar-Pappaufsteller zerfallen zu kleinen Aschehaufen. Erik erhebt sich. „Es ist an der Zeit, ein Opfer zu bringen.“ verkündet er knisternd. „Bitte hör auf.“ schluchzt Manuela. Sie lässt vorsichtig die Hände sinken, macht einen kleinen Schritt auf die Tür zu. „Bringe das Opfer.“ Die goldenen Augen in Eriks Gesicht starren sie ausdruckslos an. Manuela erschaudert unter dem eiskalten Blick. „Was für ein Opfer?“ flüstert sie. „Ein Leben für die Gottheit.“ antwortet das Knistern, heißer Wind wirbelt Aschewolken durch den Raum. Manuela krümmt sich, Tränen laufen über ihr verzerrtes Gesicht. Erik wendet sich dem Schrein zu, hebt gebieterisch den rechten Arm. Aus dem Lorbeerkranz der Siegerstaue spritzen Funken. „Hör auf damit!“ schreit Manuela hysterisch. Erik fährt wütend zu ihr herum, sein Gesicht ist eine zornige Fratze. Flammen schlagen aus seinem weit geöffneten Mund, sein Rachen glüht hellrot. Die Haut auf seinem Gesicht schält sich, wirft Blasen, verkohlt zu schwarzen Fetzen. Manuela gerät in Panik und flieht. Sie stürmt aus dem Wohnzimmer, schlittert durch den Flur und schlägt die Eingangstür mit einem lauten Knall hinter sich zu. Im Treppenhaus bleibt sie keuchend stehen. „Das ist nicht passiert, das ist gar nicht passiert!“ schluchzt sie hysterisch. Unter der Wohnungstür quillt dunkler Rauch hervor. „Oh Gott, nein.“ Manuela begreift und hämmert wild an die verschlossene Tür. „Erik!“ kreischt sie, rüttelt verzweifelt am Türknauf. „Feuer!“ schreit jemand im Haus.
Es dauert lange Minuten, bis die Feuerwehr eintrifft. Das Einsatzfahrzeug fährt mit wummernden Sirenen vor, Nachbarn und Schaulustige versammeln sich in einer dicken Traube um den Löschwagen. „Da ist noch einer drin!“ ruft eine Frau mit Lockenwicklern in den Haaren, noch bevor jemand aus dem Fahrzeug gestiegen ist. „Der junge Schubert ist noch drinnen!“ schreit ein untersetzter Mann mit Brille und deutet, wild gestikulierend, zum Haus hinüber. Flammen züngeln aus den Fenstern im ersten Stock des Gebäudes. Schwarzer Rauch steigt in einer dickten Wolke in den Himmel. Ein Polizeiwagen trifft mit blinkendem Blaulicht ein und die besorgten Menschen wenden sich hilfesuchend den Polizisten zu. In dem Tumult achtet niemand auf Manuela, die stumm am Rand des Bürgersteiges hockt und mit riesigen Augen zu ihrer brennenden Wohnung hochstarrt.
„Möchtest du Tee?“
„Nein danke.“
„Oder ein Wasser?“
„Nein danke.“
„Vielleicht Saft?“
„Danke, ich möchte nichts.“
Manuela sitzt zusammengesunken an einem beigefarbenen Küchentisch, ihr schmaler Körper verliert sich in einem flauschigen Bademantel, versinkt förmlich zwischen einer geschmacklosen Blümchentapete und überquellenden Küchenschränken. Ihre Großmutter sitzt ihr mit besorgter Miene gegenüber und reibt sich ratlos die faltigen Hände. „Vielleicht ein Kakao?“ fragt sie hilflos. Manuela bricht in Tränen aus. „Ach Mannie.“ sagt die Großmutter traurig und weint mit. Sie steht umständlich auf, umrundet den Tisch und nimmt ihre weinende Enkelin in die Arme. „Er kann nicht tot sein.“ heult Manuela und drückt sich an die weiche Brust, umschlingt die Großmutter, so fest sie kann. „Na, na.“ ächzt die alte Frau und tätschelt liebevoll Manuelas Kopf. „Hast du deinen Vater angerufen?“ fragt sie und befreit sich sanft aus der festen Umarmung. „Er geht nicht ans Telefon.“ stößt Manuela zwischen heftigen Schluchzern hervor. „Er war schon immer unzuverlässig.“ schimpft die Großmutter und tätschelt Manuelas knochigen Rücken. „Sprich nicht so über Papa.“ schluchzt Manuela und folgt damit einem alten Familienritual. „Ich habe ihn geboren, ich weiß wovon ich spreche.“ erwidert die alte Dame resolut. Manuela zeigt die Andeutung eines Lächelns. Sie hat diese Unterhaltung schon viele Male geführt. „Ich glaube ein Kakao wäre tatsächlich nicht schlecht.“ sagt sie und putzt sich geräuschvoll die Nase mit einem feuchten Taschentuch. „Natürlich, mein Liebes.“ Die Großmutter macht sich zufrieden daran, den Kakao zu bereiten, summt dabei eine Melodie, die Manuela seit Kindheitstagen kennt. „Oma?“ fragt Manuela nach einer Weile. „Ja, Liebes?“ „Ich glaube, ich bin verrückt.“ flüstert Manuela. Sie starrt mit leerem Blick auf den krummen Rücken der alten Frau, die am Herd steht und mit einem Schneebesen in einem Emaille-Topf rührt. „Du glaubst vielleicht, dein Herz zerspringt und dass du nie wieder froh sein wirst. Aber das ist nicht verrückt.“ sagt die erfahrene Großmutter und rührt dabei weiter die Milch um. „Nein Oma, das meine ich nicht.“ flüstert Manuela, neue Tränen laufen über ihr Gesicht. „Was meinst du dann?“ Die Großmutter schüttet den dampfenden Kakao in zwei Tassen. Manuela antwortet nicht. Sie nimmt stumm eine Tasse entgegen, schlürft vorsichtig den heißen Kakao und weint still. Nach weiteren Tränen und düsteren Andeutungen verordnet die besorgte Großmutter schließlich eine starke Beruhigungstablette aus ihrer reichhaltigen Heimapotheke. Manuela schluckt brav die Kapsel, folgt der alten Dame in das angrenzende Schlafzimmer, lässt sich ins Bett legen und mit einer dicken Daunenbettdecke zudecken. „Wenn du wieder aufwachst, fühlst du dich schon ein wenig besser.“ verspricht die Großmutter und streichelt liebevoll durch Manuelas Haar. „Ich werde versuchen deinen Vater zu erreichen. Schlaf gut, Mannie.“ „Danke, Omi.“ Manuela drückt sich in die weichen Kissen, die nach Großmuttersalbe und Kindheitserinnerungen duften. Schnell gleitet sie in einen tiefen Erschöpfungsschlaf. Manuela schwebt körperlos über einem wogenden Flammenmeer, erblickt ferne Berge am Horizont und schreit ihre ohnmächtige Wut über die brennende Ebene hinaus. Zornig steigt sie höher in den nachtschwarzen Himmel, kreist gestaltlos über dem Land, wendet sich schließlich dem Gebirge zu. „Wo bist du?“ schreit sie wütend, denkt sich zu den Bergen und schwebt über den schneebedeckten Gipfeln. Goldene Augen öffnen sich im glitzernden Schnee, starren den träumenden Gedanken an, der Manuela ist. „Du Wichser!“ hallt Manuelas Stimme über die Berge. Ein katzenartiges Wesen mit hellen Flecken im blauschwarzen Fell manifestiert sich auf einem kahlen Felsen und lacht spöttisch. Manuela versucht ein Adler zu werden, aber es gelingt ihr nicht eine Gestalt anzunehmen. Das Katzentier zwinkert aus goldenen Augen zu ihr empor. „Das Opfer war akzeptabel.“ schnurrt es und schlägt verspielt mit dem langen Tüpfelschwanz. „Du dreckiger…“ knurrt Manuela. Sie versucht eine Form anzunehmen, möchte sich auf das feixende Wesen stürzen, kann es aber nicht. Das Katzentier verwandelt sich in einen Steinbock mit gewaltigen Hörnern, springt in eleganten Sätzen über das Schneefeld davon und verschwindet lachend zwischen hoch aufragenden Felsen. Manuela hängt verzweifelt im Himmel und versucht aufzuwachen. Im dunklen Schlafzimmer der Großmutter fährt sie schweißüberströmt aus den Kissen hoch. Sie schält sich halb aus der feuchten Daunendecke, tastet suchend nach dem Schalter der kleinen Nachttischlampe, die neben dem Bett steht. Das matte Licht der alten Glühbirne vertreibt die Finsternis. Eine goldglänzende Gestalt steht am Fußende des Bettes und starrt. Manuela hat keine Schreie mehr. Zitternd sitzt sie im Bett, beginnt leise zu weinen. „Es ist an der Zeit, ein Opfer zu bringen.“ sagt der goldene Mann, der Eriks Gesichtszüge trägt. Seine knisternde Stimme klingt entsetzlich vertraut. „Nein.“ Manuela schüttelt kraftlos den Kopf. „Nicht mehr.“ bittet sie. Die Schreie ihrer Großmutter lassen sie auffahren und an dem Goldwesen vorbei aus dem Zimmer stürmen. „Neinneinnein!“ schreit Manuela. Sie stolpert heulend durch den dunklen Flur, öffnet schwungvoll die Tür zum kleinen Kabinett, das als Gästezimmer dient. „Oma!“ Das schmale Bett, das den engen Raum dominiert steht in Flammen. Die alte Frau, die darinnen liegt, brennt lichterloh. Windet sich in unerträglichen Schmerzen. „Nein!“ schreit Manuela wieder. Sie wirft sich auf die brennende Gestalt, spürt wie gnadenlose Hitze ihre Haut versengt. Der goldene Mann taucht neben ihr auf, reißt sie aus dem Zimmer, wirft sie unsanft auf den Boden des Flures. „Du nicht.“ faucht er, das Knistern in seiner Stimme klingt zornig. „Aaaah.“ schreit Manuela.
„Was haben wir?“
„Mord.“
„Können Sie das etwas genauer erläutern?“
Der Reporter sieht die beiden Polizisten neugierig an, die nach dem verheerenden Wohnungsbrand vor den rauchenden Trümmern des Mehrfamilienhauses stehen. „Wir brauchen einen Leichensack und Sie bessere Fragen.“ sagt er ältere Polizist schlecht gelaunt und geht zu seinem Wagen. Sein jüngerer Kollege bleibt kurz stehen und sieht den Reporter blass an. „Verrückte Sache.“ raunt er, dann folgt er dem Kollegen zum Auto. Der Reporter sieht ihm nachdenklich hinterher. „Aha.“ murmelt er und zündet sich eine Zigarette an. Geduldig wartet er darauf, dass die Leiche abtransportiert wird, um ein Foto vom Leichensack auf der Bahre zu machen. Dann mailt er das Bild an die Redaktion und fährt zum städtischen Krankenhaus, um weitere Informationen zu sammeln. Auf der Intensivstation des Krankenhauses liegt Manuela. Sie hat eine schwere Rauchvergiftung, ernste Verbrennungen und ist nicht ansprechbar. Der Reporter versucht mit Charme und Witz, den Krankenschwestern der Station brisante Details zu entlocken, scheitert aber kläglich. Erst Tage später erfährt er mehr von der Verletzten auf der Intensivstation, die ihre eigene Großmutter angezündet hat. Ihr Zustand ist besorgniserregend, sie reagiert nicht auf Ansprache, zeigt keine Schmerzreaktion. Hundert Euro und ein junger Pflegeassistent spielen bei diesem Erkenntnisgewinn eine entscheidende Rolle. „Sie liegt nur da, starrt an die Decke und flüstert.“ erzählt der Pflegeassistent bei einem heimlichen Treffen in der Parkgarage. „Was flüstert sie denn?“ fragt der Reporter neugierig und macht Notizen. „Sie murmelt immer ‚Oskar, Oskar‘ und irgendwas von ihrer irren Tätowierung.“ Der junge Mann weiß, wie man Geld verdient. Der Reporter bietet einen hohen Betrag für ein Foto der Täterin und ihrer rätselhaften Tätowierung.
„Schau mal?“
„Hm?“
„Krass, oder?“
„Ja, voll Krass.“
In einem Schnellrestaurant am Rande einer Kleinstadt sitzen sich fünf junge Erwachsene gegenüber, kauen labbrige Pommes und kalte Burger. Ein iPad wird zwischen ihnen herumgereicht. „Die grausame Feuerteufelin“ titelt der Artikel, der ihre Aufmerksamkeit erregt hat und darunter ist ein verschwommenes Bild von Manuela zu sehen, deren ausgemergelter Körper an Infusionsschläuchen hängt. Ein schärferes Detailfoto zeigt ihre unversehrte Tätowierung. Ein roter Pfeil führt zum Einleitungstext. ‚Jetzt packt der Tätowierer aus: So abartig trieb es die irre Satanistin von Kirchhausen!‘ steht da in Kursivschrift. „Läuft bei der.“ bemerkt ein junger Mann in Jeansjacke betont cool, einer seiner Freunde kichert. „Voll die krasse Berühmtheit.“ sagt eines der Mädchen, in ihrer Stimme schwingt Bewunderung. „Im Irrenhaus vielleicht.“ frotzelt ein Junge und schaufelt Pommes in seinen Mund. „Das Tattoo ist nice.“ schwärmt seine Freundin. „Die hat ihren Lover und ihre Oma abgefackelt.“ hält ein dunkelhaariger Schönling dagegen. Er verteilt arrogante Blicke über seine Sonnenbrille hinweg. „Ich fackel dich auch gleich ab.“ lacht ein pickeliges Mädchen und nimmt das iPad an sich. „Das Tattoo ist echt nice.“ sagt sie in grüblerischem Tonfall und legt nachdenklich den Kopf schief. „Du traust dich doch nie zu einem Tätowierer.“ ätzt der Schönling. „Wetten doch, Bruderherz?“ grinst das Mädchen.
„Hey.“
„Was kann ich für dich tun?“
„Ich möchte einen Termin.“
„Bist du schon Volljährig?“
Ein paar Monate sind vergangen. Das pickelige Mädchen steht unsicher in einem Tattoo-Studio und zeigt mit schwitzigen Händen den Personalausweis vor. „Ich hab das Motiv dabei und ich weiß auch genau die Stelle.“ erklärt sie in übereifrigem Tonfall. Der Tätowierer lächelt milde. „Dann zeig mal her.“ brummt er und führt sie an den gläsernen Verkaufstresen, der mit Zeitschriften, Vorlagenmappen und Piercingzubehör übersät ist. Die junge Frau kramt umständlich ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus ihrem quietschgelben Rucksack. „Hier.“ sagt sie und klingt ein bisschen nervös. „Ach.“ seufzt der Tätowierer, als er das Blatt Papier entfaltet. Er nickt und holt eine Vorlage aus einer Mappe, die ganz oben auf einem der Stapel liegt. „Hier, das habe ich schon vorgezeichnet. Das will seit der Katastrophe im Krankenhaus wirklich jeder haben.“ Er zeigt der jungen Frau die stilisierte Vorlage eines katzenartigen Wesens, das sich eng an einen springenden Widder schmiegt. „Genau das will ich.“ freut sich die junge Frau und strahlt. Der Tätowierer zuckt ergeben mit den Achseln.
© sybille lengauer