Im Keller
Wäre ich doch zuhause geblieben. Der Abend war noch nicht einmal besonders schön, nur leicht bewölkt und etwas windig. Ich hätte nicht spazieren gehen müssen. Hätte gemütlich, bei einem schönen Glas Wein, den Feierabend auf dem Sofa genießen können. Aber natürlich, eine gute Gesundheit verlangt nach Bewegung. Also bin ich spaziert. Einmal um das Dorf herum, die schmalen Feldwege entlang. Als ich plötzlich die Schreie aus dem alten Bauernhaus hörte, folgte ich dem Geräusch. Habe mir nichts dabei gedacht. Und jetzt sitze ich hier. Mit einem Stift und ein paar Bogen Papier. In diesem Käfig. In diesem Keller.
Die Hexe sagt, ich solle schreiben. Seit sie herausgefunden hat, dass ich Schriftstellerin bin, behandelt sie mich besser als die anderen. Davor hat sie kein Wort zu uns gesprochen, nur immer die Tabletts mit reichlich Essen abgestellt, unsere Eimer gewechselt und weg war sie wieder. Jetzt bleibt sie manchmal und plaudert ein bisschen mit mir. Meistens über Rezepte. Am liebsten über Fleisch.
Der Fettsack im Käfig nebenan brüllt schon wieder wie am Spieß. Ihm habe ich die ganze Misere zu verdanken. Er schreit bei Tag und Nacht und ich kann nicht begreifen, warum das da draußen keiner hört. Also, außer mir. Idiotin. Die anderen Gefangenen verhalten sich ruhig, schaufeln nur das üppige Essen in sich hinein und stieren stumpfäugig an die Kellerwände. Manchmal, tief in der Nacht, höre ich sie leise Schluchzen. Alle sind männlich. In den mittleren Jahren. Alle stark übergewichtig. Manchmal bekommt die Hexe einen seltsamen Glanz in den Augen, wenn sie nach ihnen schaut. Ich esse nur wenig. Hocke in meinem Käfig und versuche bei Verstand zu bleiben. Schreibe die Rezepte und Anekdoten der Hexe auf und manchmal ein paar Zeilen für mich.
Heute gab es Süßigkeiten. Schokoladenkuchen und feinstes Konfekt. Es scheint ein Feiertag zu sein, ich weiß nur nicht welcher. Wenn meine Berechnungen stimmen, bin ich seit zwei Wochen hier. Kann mich aber auch irren, man kommt leicht durcheinander. Ich frage mich, ob die Hexe Geburtstag hat. Sie ist so ausgesprochen gut gelaunt.
Der Schreihals ist tot. Die Hexe hat ihn getötet. Vor unser aller Augen. Hat ihn eiskalt erschossen und seinen Leichnam huckepack aus dem Keller geschleppt. Sie ist unglaublich stark. Und gnadenlos. Ich muss hier unbedingt raus!
Ich komme hier nicht raus. Seit Tagen suche ich nach einem Fluchtweg, es ist aussichtslos. Die Käfige sind doppelt gesichert, die Hexe ist wachsam wie ein Luchs und auf die Hilfe meiner Mitgefangenen kann ich nicht hoffen. Die sind geistig nur noch Gemüse. Und auch ich werde bald verrückt, das kann ich spüren. Vielleicht schlachtet sie mich aber auch, bevor ich den Verstand verliere. Manchmal mustert sie mich und lächelt dabei. Ich glaube, sie überlegt schon das passende Rezept.
© sybille lengauer