Herz aus Beton

Endlich sind die alten Linden an der Kirche weg,
Man konnte gar nicht richtig in den Himmel seh’n,
Endlich sind die blöden, grünen Dinger weg,
An ihrer Stelle kann jetzt bald mein Auto steh’n,
Wo einst die Meise tirilierte und der Zaunkönig brillierte,
Wo die Amsel stolz gesungen, der Ruf der Nachtigall erklungen,
Baut der Mensch nun endlich seinen größten Schatz,
Einen Pi-, einen Po-, einen Parkplatz.

Endlich ist die alte Brache an der Straße weg,
Man konnte gar nicht mit dem Kind spazierengeh’n,
Endlich ist der dumme, grüne Schandfleck weg,
An seiner Stelle kann jetzt bald mein Häuschen steh’n,
Wo einst die schrille Spitzmaus wohnte und die Eidechse sich sonnte,
Wo sich der Schmetterling verpuppt’ und die Blindschleich’ sich geschuppt,
Lebt der Mensch nun endlich seine Träume aus,
In einem Drei-, in einem Zwei-, in einem Einfamilienhaus.

Endlich ist das alte Wasserloch am Dorfrand weg,
Man konnte gar nicht mit dem großen Trecker mäh’n,
Endlich ist die doofe, grüne Pfütze weg,
An ihrer Stelle kann jetzt bald mein Maisfeld steh’n,
Wo einst die Frösche lauthals quakten und die Reiher reihum stakten,
Wo der Storch reich Beute machte und der Grünspecht hämisch lachte,
Entsteht nun endlich eine Geld- und Wertanlage,
Eine Schwi-, eine Schwa-, eine Schweinemastanlage.

© sybille lengauer

Kommentare
  1. J. H. sagt:

    Bei dem Gedicht kommen Kindheitserinnerungen hoch … Vor rund vierzig Jahren gab es selbst in der Großstadt, in der ich aufwuchs, noch mehrere wunderschöne, unbebaute Flächen mit wild wachsender Natur und zahlreichen Tieren, die auch für uns Kinder ein Paradies zum Spielen und Lernen waren. Es machte noch Spaß, draußen zu spielen. Viele Orte von damals erkennt man heute kaum mehr wieder. Klar, Wohnraum ist auch wichtig, trotzdem ist diese Veränderung traurig.

    • Sybille Lengauer sagt:

      Geht mir genauso, in meiner Heimatstadt gibt es ganze Viertel, die früher Felder waren. Bin einmal in die falsche Straßenbahn gestiegen und war plötzlich in einer völlig unbekannten Ecke. Schon ein wenig unheimlich, wenn man die eigene Heimat nicht mehr erkennt.

  2. Rene Martini sagt:

    Sehr erstaunlich zu sehen, dass zum Beispiel im kommunalem Raum sich laute Stimmen nichts sehnlicher wünschen, als dass diese oder jene Brache oder Gestetten endlich wegkommen muss.

  3. YDU sagt:

    Ich fühle mit dem Pi,Po,Pa,
    mein Car stand unter dem Gaga,
    täglich musste ich putzen und polieren,
    die Vogelkleckse abpolieren,
    erst dann konnte ich fahren um die Welt,
    war um die gute Morgenlaune rasch geprellt!
    Könnten die Vöglein beim Musizieren
    nicht einfach Autopolitur im Verdauungstrakt produzieren?
    So sparte sich der Autofahrer sehr viel Geld,
    da die Politur sein Auto verschönert statt quält …

  4. wildgans sagt:

    Unfassbar alles. Großartige Ironie. Zum Haare raufen…

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