Archiv für März, 2022

Wiegenlied

Veröffentlicht: März 28, 2022 in Gedichte
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Wiegenlied

Still jetzt, still.
Der Krieg ist nahe, mein Kind.
Durch die Haselbüsche streift nicht der Frühlingswind.
Sondern der Tod, kannst du ihn hören?
Er brüllt aus blechernen Kehlen dein Wiegenlied.
Still jetzt, still.
Der Krieg ist nahe, mein Kind.
Durch die Uferböschung streicht nicht der Morgenwind.
Sondern der Tod, kannst du ihn hören?
Er kreischt mit stählernen Zungen dein Wiegenlied.
Still jetzt, still.
Der Krieg ist nahe, mein Kind.
Durch die Fensterritzen pfeift nicht der Märzwind.
Sondern der Tod, kannst du ihn hören?
Er schmettert in eisernen Tönen dein Wiegenlied.

© sybille lengauer

Sonnenaufgang

Wie du tastend dich emporhebst,
Aus der düsteren Umarmung.
Deine Farben augenschmeichelnd,
Mit der Dunkelheit verwebst.
Wie du die Stille singend machst,
Weil tausend Vogelkehlen rufen:
„Halleluja! Wir sind Leben!“

Wie die Nacht zerschellt,
Wie die Nacht zerbricht,
An deinem Licht.

Wie du den Mond verblassen lässt,
Seinen Platz am Himmel forderst.
Die andern Sterne absorbierst,
Mit stummer Unausweichlichkeit.
Wie du das Himmelsschwarz zerfaserst,
Derweil die Vogelseelen singen:
„Halleluja! Wir sind Leben!“

Wie die Nacht zerschellt,
Wie die Nacht zerbricht,
An deinem Licht.

© sybille lengauer

Seine längste Reise

16 März 2217
„Ich hätte akzeptieren müssen, dass es vorbei ist. Spätestens, als sie wieder mit dem Rauchen angefangen hat, nur um mir damit auf die Nerven zu gehen, da hätte ich es akzeptieren müssen. Unterbewusst war mir bestimmt schon längst alles klar, ich wollte es nur nicht wahrhaben, immerhin dachte ich, sie sei die Liebe meines Lebens, so etwas wirft man doch nicht leichtfertig weg. Also klammerte ich mich an die rosige Vergangenheit und verschloß die Augen vor der grauen Gegenwart, weil ich nicht sehen wollte wie lieblos und kalt wir geworden waren. Und was habe ich jetzt von meiner gewollten Blindheit? Jetzt sitze ich auf dieser beschissenen Sternfahrt fest, die ein Vermögen kostet und mich von Minute zu Minute mehr anödet, mit einer Frau, die mich nicht einmal mehr hasst, sondern nur noch stumm verachtet, vielen Dank der Nachfrage. Wie verblödet muss man eigentlich sein, sich auf eine sechswöchige Sternfahrt mit seiner zukünftigen Ex-Frau einzulassen? Ich habe mich noch nie für den Weltraum erwärmen können, selbst bei den obligatorischen Schulausflügen zum Mars musste ich immer die Kotztüte benutzen und trotzdem sagte ich ja, als unsere Paartherapeutin den Vorschlag zu dieser Reise unterbreitete. Romantisch und Phantasieanregend sollte sie sein, ein beziehungsförderndes Abenteuer und was weiß ich noch alles, aber diese Fahrt ist nichts davon, rein gar nichts, ganz im Gegenteil. Das hier ist ein eintöniger, nervtötender Vorhof zur Hölle, gespickt mit nicht enden wollenden Buffets, aalglatter Konversation, drittklassigen Konzerten und öden Gesellschaftsspielen, dafür muss nun wirklich niemand die Erde verlassen, das bekommt man in jedem Billigcasino der Welt geboten. Ich könnte aus der Haut fahren vor Wut. Wut auf mich selbst, auf die blöde Therapeutin und auf Cornelia, die wirklich rein gar nichts dazu beiträgt, diesen Trip auch nur ansatzweise erträglich zu gestalten. Sie zeigt mir die kalte Schulter, nein, noch nicht einmal mehr das, sie zeigt mir nichts mehr, spricht kein Wort mit mir und in ihren Augen liegt, wenn sie mich denn einmal ansieht, ein harter Glanz, der mich im Herzen frieren macht. Ach, verdammt, der Weltraum lässt mich immer so sentimental werden. Ich fühle mich jämmerlich im Angesicht der Sterne. Wenn man bedenkt, dass ich für die Kosten dieser Reise ein Ferienhaus auf NewMerica-Beach hätte kaufen können – darüber darf ich gar nicht genau nachdenken. Und alles nur, weil ich nicht wahrhaben wollte, was ein jeder schon längst wusste: Diese Ehe ist vorbei. Nichts geht mehr. Das Spiel ist aus.“
Godric Carpenter speicherte die Sprachaufnahme und stieß ein erschöpftes Seufzen aus. Er warf sein Memorial lustlos auf den klappbaren Schreibtisch, der die Einzelkajüte nur noch beengter machte, die wochenlang sein Zuhause sein sollte. Ein klaustrophober Schauer jagte durch seine überreizten Synapsen, doch er schüttelte das lästige Angstgefühl nur ärgerlich ab und erhob sich unter weiteren Seufzern. Antriebslos stand er in der engen Kajüte, mit hängenden Armen und ziellosen Gedanken, den Blick vage auf den Schreibtisch gerichtet, während draußen, vor dem winzigen Bullauge, der samtschwarze Weltraum vorbeizog. „Ich bin der größte Trottel des bekannten Universums“, knurrte Godric Carpenter monoton, dann gab er sich einen merklichen Ruck und verfrachtete sein Memorial in den Wandsafe. Er klappte den Schreibtisch zusammen, räumte den Sessel beiseite und machte sich schließlich mürrisch daran, seine Ausgehgarderobe für das abendliche Buffet zurechtzulegen.

20 März 2217
„Heute haben wir den ersten Planetenausflug unternommen und ich muß zugeben, dass er tatsächlich abenteuerlich und phantasieanregend war, nur leider nicht von der glücklichen Sorte. Ich hatte die blühendsten Todesphantasien, als wir in einem klapprigen Shuttle dem fremden Planeten entgegengeschleudert wurden. Kotzelend war mir, buchstäblich, wäre ich nicht neben der wimmernden Cornelia festgeschnallt gewesen, ich hätte bestimmt die Kontenance verloren. Und das alles für ein paar verfallene Alien-Ruinen, die seit Jahrmillionen in irgendeinem Dschungel verrotten. Einfach lächerlich. Aber es war immerhin eine Abwechslung in dieser ansonsten so desaströs langweiligen Reise. Ich werde uns für sämtliche planetaren Ausflüge anmelden, vielleicht habe ich ja Glück und wir zerschellen während einer Landung, dann habe ich das Elend hinter mir und Cornelia nehme ich gleich mit.“
Godric Carpenter gestattete sich ein schmales Lächeln, während er das Memorial beiseite legte, er streckte die Beine aus, verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und für einen kurzen Augenblick fühlte er eine Art von Behaglichkeit, die er in der beschränkenden Enge der Kajüte für unmöglich gehalten hätte. Der Moment verstrich, die Behaglichkeit verging und das Lächeln wich aus seinem Gesicht, Godric Carpenter konnte fühlen, wie seine Gedanken in einer langgezogenen Abwärtsspirale gen Traurigkeit zogen. Missmutig bemerkte er, dass noch viele Wochen Sternfahrt vor ihm lagen, zähe, erdrückende Wochen, die ihm an Cornelias essigsaurer Seite wie Jahrzehnte erschienen und vielleicht dachte er in diesem Moment zum ersten Mal genauer darüber nach, wie befreiend es wohl wäre, wenn seine Ehefrau tatsächlich bei einem Unfall ums Leben käme.

23 März 2217
„Es gab einen Anschlag! Einen echten, terroristischen Anschlag, hier, auf dem Schiff! Heute Abend ist eine Bombe in einem Unterhaltungssaal explodiert – ich kann es immer noch nicht fassen. Uns ist glücklicherweise nichts passiert, wir waren noch am Buffet zugange, aber wir konnten eine laute Explosion hören und Schreie, diese schrecklichen Schreie werde ich garantiert nie vergessen. Wir haben uns natürlich sofort in unsere Räumlichkeiten zurückgezogen und jetzt warte ich hier seit geschlagenen drei Stunden auf weitere Informationen, während Cornelia in der Kajüte nebenan sitzt und sich die Augen aus dem Kopf weint. Aber wen kümmern schon unsere Sorgen und Nöte, die Mannschaft hat dringlicheren Aufgaben nachzugehen. Terroristen jagen, zum Beispiel, bevor noch ein weiteres Unglück geschieht. Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass es auf einer Sternfahrt zu einem Anschlag kommen könnte; hätte ich daran gedacht, ich wäre niemals an Bord dieses verfluchten Schiffes gegangen. Bombenattentate im Weltraum, welcher Verrückte kann dazu imstande sein? Ich verachte diese Bastarde und ihre mörderische Philosophie, ich verachte sie aus tiefster Seele, sie sind feiger Abschaum, hinterfotzig und niederträchtig, ich spucke auf sie! Ich frage mich, wie es nun weitergeht. Wird die Sternfahrt abgebrochen? Fliegen wir zurück zur Erde oder wird die Reise fortgesetzt, als wäre nichts geschehen? Was, wenn der nächste Anschlag bei einem Planetenausflug passiert, ich habe uns für alle Rundflüge angemeldet, das könnte unser Todesurteil sein. Oder vielleicht sprengt uns so ein Irrer während des Buffets in die Luft, bei dem Gedanken wird mir speiübel, ich will sofort nach Hause, oder zumindest mein Geld zurück! Das ist vielleicht der einzige Silberstreif an diesem düsteren Horizont, ich werde diese Bastarde auf Schadensersatz verklagen, bis ihnen Hören und Sehen vergeht. Schmerzensgeld wegen seelischer Grausamkeit und was mir noch alles einfallen mag. Ich werde diese verfluchte Reederei in Grund und Boden klagen – aber was nützt mir das, wenn ich in einem Sarg nach Hause komme? Oder, und das wäre vielleicht noch viel schlimmer, was, wenn sich Cornelia bei der Scheidung alles unter den Nagel reißt?“
Godric Carpenter stoppte die Sprachaufnahme und hörte dem bitteren Klang seiner letzten Sätze hinterher, ein kleiner Teil seines Selbst schämte sich für die Aussage, dass ihm der Tod gnädiger erschiene, als sein Hab und Gut an Cornelia zu verlieren, doch der größere und gewichtigere Teil seines selbstangefüllten Ichs hatte nur wenig Verwendung für Scham, sondern suhlte sich lieber in einem Meer aus Selbstmitleid und Habgier. Unruhig ließ Godric Carpenter den Blick durch die enge Kajüte schweifen, bis sein rastloses Auge schließlich am winzigen Bullauge hängenblieb, das den tiefdunklen Kosmos zeigte und seine Gedanken anzusaugen schien, wie ein schwarzes Loch einen verirrten Stern. Er fühlte sich kleiner und kleiner werden, während er so nach draußen blickte, fühlte sich unbedeutend, verletzlich und leer, weil er nichts sah, als absolute Finsternis. Immer schneller und schneller kreiste die Unsicherheit in seinem Schädel, von heftigem Schwindel erfasst schloß er krampfhaft die Augen, um nicht mehr nach draußen sehen zu müssen, sein Puls raste, Schweiß rann kalt seinen Rücken hinunter, seine Hände zitterten. Wahrlich, Godric Carpenter verabscheute den Weltraum aus tiefstem Herzen.

26 März 2217
„Wir fliegen zurück nach Hause, Gold sei Dank. Die letzten Tage waren der reinste Nervenkrieg, kaum Informationen, dafür tausend Gerüchte und über allem schwebt ständig diese nebulöse Angst, dass es bald wieder zu einem Terroranschlag kommen könnte. Der Kapitän hält zwar allabendlich eine Ansprache, angeblich, um uns auf den neuesten Stand zu bringen, aber er produziert jedes Mal nur tonnenweise heiße Luft, das ist keine Beruhigung. Ich vermute, dass er keine Ahnung hat wer hinter dem Anschlag steckt. Und höchstwahrscheinlich hat er genauso die Hosen voll, wie ich, wenn ich ehrlich sein darf. Wir befinden uns in der lebensfeindlichsten Umgebung, die man sich vorstellen kann, Lichtjahre von der Erde entfernt und irgendwo, unter hunderten Gästen und Angestellten, versteckt sich ein irrer Bombenleger. Ich jedenfalls werde erst wieder ruhig schlafen können, wenn dieses elende Schiff sicher im Raumhafen angelegt hat, nein, noch nicht einmal dann, erst wenn ich zurück auf der Erde bin und echten, terrestrischen Boden unter meinen Füßen spüre, werde ich mich wieder entspannen können. Bis dahin schlafe ich mit einem offenen Auge, wenn überhaupt. Gerade jetzt könnte ich die Liebe und Zärtlichkeit einer verständnisvollen Partnerin dringend gebrauchen, aber damit ist bei Cornelia selbstverständlich nicht zu rechnen. Statt an meiner Seite zu sein, verlässt sie ihre Kajüte nicht mehr, sie lässt sich die Mahlzeiten bringen und verweigert jegliche Kommunikation mit mir. Im Grunde könnte ich genauso gut mit einem Stein verheiratet sein, der würde wahrscheinlich weniger Scherereien verursachen, aber sonst wäre kein Unterschied zu bemerken. Manchmal, ja manchmal wäre ich selbst lieber ein Stein, grau, hart, solide, dann wäre ich von all den elenden Sorgen und Nöten befreit. Obwohl, wer weiß, vielleicht ist Steinsein ja genauso deprimierend wie Menschsein, hat vielleicht nur noch niemand herausgefunden. Ach, was rede ich. Der Weltraum macht aus mir einen dümmlichen Schwätzer. Zurück zum Thema. Die Heimreise soll fünf Tage in Anspruch nehmen, das ist der direkte Weg nach Hause, schneller geht es nicht. In fünf Tagen kann eine Menge geschehen, die Lage bleibt also angespannt. Ich werde einen Weg suchen müssen mich abzulenken, ohne mich unnötig in Gefahr zu begeben. Holo-Golf könnte eine Möglichkeit sein, dabei verliere ich immer das Zeitgefühl und wer käme schon auf die Idee, einen Holo-Golfplatz zu attackieren. Ein Glück, dass ich meine Golfschläger mitgebracht habe, ich hatte schon so eine Vorahnung, dass sie mir nützlich sein würden.“
Godric Carpenter legte das Memorial beiseite und faltete die Hände, als wolle er ein klassisches Gebet sprechen, doch Godric Carpenter betete wenn, dann nur zu sich selbst. Emotional befand er sich in einem unergründlichen Spannungsfeld, hin- und hergerissen zwischen aufrichtiger Terrorismusangst, kindlichem Heimweh und ehrlichem Liebeskummer und es hätte nicht viel gefehlt, er wäre zur Verbindungstür gelaufen, die seine Kajüte mit der seiner Ehefrau verband, hätte ebendiese Türe sperrangelweit aufgerissen, um eine verdutzte Cornelia in den Arm zu nehmen und so lange festzuhalten, bis er wieder wußte, wo oben und unten war. Stattdessen presste er aber nur die Finger seiner Hände so fest gegeneinander, dass die Fingerspitzen weiß wurden.

29. März 2217
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch einmal eine Aufzeichnung machen würde. Ich hätte nicht gedacht, dass ich den Absturz überleben würde. Eigentlich habe ich seit gestern Nacht so ziemlich gar nichts gedacht, alles lief auf Autopilot. Erst jetzt komme ich dazu meine Gedanken zu ordnen und ich bin unaussprechlich dankbar, mein Memorial bei mir zu haben, um die vielleicht letzten Stunden meines Lebens dokumentieren zu können. Verdammt, mir kommen schon wieder die Tränen, ich schaffe die Aufzeichnung wohl nicht, ohne zu heulen. Wir sind abgestürzt. Also, erst sind wir explodiert, dann abgestürzt. Nein, das Schiff ist explodiert. Die Rettungskapsel ist abgestürzt. Ich bin immer noch so durcheinander. Cornelia ist bei mir, sie schläft gerade, weil der junge Steward mit der hübschen Uniform sie mit Beruhigungspillen abgefüllt hat. Außer uns dreien gibt es noch vier weitere Überlebende, wobei es um ein älteres Mitglied der Besatzung schlecht zu stehen scheint, er ist beim Aufprall der Rettungskapsel schwer verletzt worden. Wir anderen sind, wie durch ein Wunder, unverletzt. Ein paar Schrammen und Beulen, aber noch nicht einmal gebrochene Knochen. Aber jetzt endlich der Reihe nach. Natürlich gab es ein weiteres Attentat, anders ist die Sache nicht zu erklären, leider liegen uns kaum Informationen vor. Mitten in der Nacht schrillten plötzlich die Alarme und noch ehe wir es uns versahen, befanden wir uns schon auf dem Weg zu den Evakuierungsports. Ich weiß noch, dass ich mich immer wieder nach Cornelia umgedreht habe, weil ich Angst hatte, sie im wilden Getümmel zu verlieren, ihr kreideweißes, todernstes Gesicht hat sich unauslöschlich in meine Erinnerung eingebrannt. Zusammen retteten wir uns in eine Kapsel, was dann geschah, kann ich nicht mehr genau zusammensetzen, ich vermute, dass ich durch einen Sturz ohnmächtig geworden bin, als die Kapsel vom Schiff abgesprengt wurde. Als ich wieder zu mir kam, trudelten wir bereits in hoffnungslosem Taumel diesem Planeten entgegen. Es war Glück im Unglück, dass wir so nahe an einem habitablen System Schiffbruch erlitten haben, wobei man die Gewichtung des Glücks vielleicht nicht überbewerten sollte, denn egal wie habitabel dieser Planet auch erscheinen mag, ohne entsprechende Ausrüstung wird er uns trotzdem töten. Diese Wahrheit ist uns allen bewusst, auch wenn wir bisher noch nicht darüber gesprochen haben.“
Godric Carpenter unterdrückte ein lautes Schluchzen und beendete rasch die Sprachaufzeichnung, weil er fürchtete, sonst die Beherrschung zu verlieren und hysterisch zu werden. Behutsam steckte er das Memorial zurück in den kleinen Koffer, den er vom Schiff hatte retten können. Mit bangem Herzen sah er sich in der weitläufigen Höhle um, in die sich die kleine Gruppe nach dem Absturz der Rettungskapsel geflüchtet hatte und was er sah, stimmte ihn nicht optimistisch. Wenn er geglaubt hatte, der Weltraum würde ihm ein Gefühl der Jämmerlichkeit vermitteln, so musste er nun herausfinden, dass es sich noch viel jämmerlicher anfühlte auf einem fremden Planeten gestrandet zu sein.

30. März 2217
„Der alte Crewman ist gestorben, damit war zwar zu rechnen, aber trotzdem hat es uns alle deprimiert. Es fühlt sich falsch an, ihn unter diesen fremden Sonnen zu begraben, aber mehr können wir nicht für ihn tun. Wir haben ihn draußen vor der Höhle unter Steinen begraben – ich glaube, wenn ich noch ein drittes Mal begraben sage, werde ich verrückt. Verrückt allerdings auch, wie sehr man zusammenrückt, wenn der eigene Tod so nahe kommt. Cornelia und ich halten auf einmal zusammen wie Pech und Schwefel, kein Haar könnte zwischen uns passen, ganz so, als wären die Jahre der Entfremdung hinweggeblasen worden. Auch jetzt liegt sie hier neben mir und hält im Schlaf meine Hand. Unsere Streitigkeiten haben sich in Luft aufgelöst und vielleicht ist das der schönste Trost, der mir in dieser elenden Situation beschieden ist. Auch wenn wir hier verhungern werden, zumindest sterbe ich mit der Liebe meines Lebens an meiner Seite. Aber noch bin ich nicht tot und aufgegeben habe ich auch noch nicht! Morgen früh werde ich zusammen mit dem jungen Steward aufbrechen, um die Umgebung zu erforschen. Er behauptet, die Rettungskapsel hätte automatisch ein potentiell bewohntes Gebiet angesteuert, ich habe nicht genau verstanden wie die Technik funktioniert, aber er klingt sehr zuversichtlich. Seiner Meinung nach könnten wir einen verlassenen Außenposten finden und von dort eine Nachricht an die Erde verschicken. Sein Wort in aller Götter Ohren! Hoffentlich gibt es hier keine Eingeborenen. Oder wilde Raubtiere. Giftpflanzen wären auch sehr schlecht, oder fleischfressende Pilze oder, oder – ich sollte mir wirklich nicht so viele Gedanken machen, sonst gehe ich morgen keinen Schritt. Ich sollte lieber versuchen zu schlafen. Mit etwas Glück überlebe ich das morgige Abenteuer, um hier davon zu berichten.“
Godric Carpenter legte das Memorial auf einen fachen Stein, der als improvisiertes Tischchen diente, dann kuschelte er sich wärmesuchend an Cornelia, die im Schlaf leise murmelte und ihren Rücken an seinen weichen Bauch drückte. Gedankenverloren schmiegte er sich an ihren warmen Körper und ohne es zu bemerken, glitt er langsam in den Schlaf hinüber.

© sybille lengauer

KLP-Nominierung

Veröffentlicht: März 15, 2022 in Neuigkeiten
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Ich könnte mich jetzt natürlich ganz cool geben und hier völlig gelassen von der Nominierung meiner Kurzgeschichte „Salvation“ für den Kurd Laßwitz Preis 2022 berichten. Wäre dann halt gelogen, denn Holy Moly ich platze vor Freude! Meine Story! Nominiert! Woohoo!
Ich applaudiere mir selbst und natürlich allen anderen Nominierten und gratuliere grundsätzlich uns allen, die wir schreiben und nicht aufhören damit, egal wie zäh und undankbar es manchmal auch erscheinen mag.
http://www.kurd-lasswitz-preis.de/2022/KLP_2022_Erzaehlung.htm

In deinem Totenhaus

Veröffentlicht: März 14, 2022 in Gedichte
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In deinem Totenhaus
(Beobachtung einer Depression)

In deinem Totenhaus sind die Tage stets verhangen und grau,
Selbst wenn draußen die Sonne heiß vom wolkenlosen Himmel scheint,
In deinem Totenhaus liegt die Welt im Eis erfroren,
Obschon der Frühling vor den Fenstern aus allen Poren keimt,
In deinem Totenhaus ist jedes Flüstern ein hartes Wort,
Auch wenn es ein jeder nur gut mit dir meint,
In deinem Totenhaus bist du nur ein stummer, starrer Körper,
Der darauf wartet, daß die Welt sein Verschwinden beweint,
In deinem Totenhaus herrschst du, nur du, nur du allein,
In deinem Totenhaus willst du, nur du, nur du begraben sein.
In deinem Totenhaus sind die Nächte stets bitter und schwarz,
Selbst wenn draußen der Mond hell vom sternenklaren Himmel scheint,
In deinem Totenhaus liegt dein Selbst in Eis gefroren,
Obschon das Leben vor den Fenstern aus allen Ritzen keimt,
In deinem Totenhaus ist jeder Traum ein spitzer Schrei,
Auch wenn es der Sandmann nur gut mit dir meint,
In deinem Totenhaus bist du nur ein tumber, toter Körper,
Der darauf wartet, daß jemand sein Verderben beweint,
In deinem Totenhaus herrschst du, nur du, nur du allein,
In deinem Totenhaus willst du, nur du, nur du begraben sein.

© sybille lengauer

(Hörempfehlung zu diesem Gedicht: „Raft 1.01 – Official Soundtrack“ Track: Salt)

Frau Legov liest“ mit Gastgeberin Nathalie Legov und meiner Wenigkeit. Texte von Seneca bis Herman van Veen, Gedichte gegen den Krieg, aber auch gegen die schlechte Laune und dazu noch zwei kurze Kurzgeschichten, es war wirklich alles dabei. Eine schöne und durchweg behagliche Veranstaltung, gestern im Cafe Yolk (Bennohaus Münster), gemütlich und wohzimmerlich in der obersten Etage und trotzdem eingebettet in die rege Atmosphäre des Cafes. Es ist eine Wohltat, dass solche Lesungsnachmittage wieder existieren, also kümmert euch bitte alle um den Erhalt solcher Sessions in eurer Region und geht fleißig hin. Gute Woche euch allen und haltet durch, eure Sy