Mit ‘Dein letzter Begleiter ist immer der Tod’ getaggte Beiträge

Und wenn du der Letzte wärst,
Nach all den Milliarden,
Nach dem niemand mehr käme,
Nach dem niemand mehr lebte.
Wer beweinte dich?

„Bitte erwache. Bitte erwache. Bitte erwache.“ Eine weibliche Computerstimme wiederholt monoton ihre Aufforderung. Der alte Mann, der auf dem schäbigen Holzboden der Unterseestation liegt, reagiert nicht. Liegt nur da und sieht tot aus. „Hilfsmaßnahmen eingeleitet.“ verkündet die eintönige Stimme aus der Wand. Ein kleiner Roboter löst sich von seiner Verankerung, steuert geschickt zwischen verstreuten Messinstrumenten, Notizblockbergen und leeren Flaschen hindurch. Als der Roboter den Mann erreicht, fährt er einen winzigen Greifarm mit Spiegel aus. Justiert ihn unter dessen Nase und wartet. Der Spiegel beschlägt ein wenig. Daraufhin stößt die kleine Maschine einen kreislaufanregenden Duftstoff aus. Verharrt in stummer Ergebenheit. Zeit vergeht. Der Mann bewegt sich nicht. Die undurchdringbare Stille des Ozeans breitet sich in der Unterseestation aus. Vereinzelte Lämpchen blinken an verstaubten Konsolen. Verstärken nur die Dunkelheit. Ein hölzerner Schreibtisch verschwindet unter Bücherlawinen. Das verbeulte Kopfstück einer antiken Taucherausrüstung liegt neben dem bewusstlosen Körper auf dem Boden. Der kleine Roboter piept ratlos. „Hilfsmaßnahmen eingeleitet.“ kündigt die Computerstimme erneut an. Ein deutlich größerer Roboter löst sich aus seiner Verankerung, schwere Schritte lassen die gläsernen Instrumente im Raum erzittern. Die Notizblockberge kollabieren, zerfallen zu chaotischen Haufen. Eine Weinflasche zerbricht, als sie vom Tisch rollt. Der saure Geruch von Rotwein erfüllt das Zimmer. Kaltes Metall schimmert im spärlichen Lichtschein der Lämpchen. Geschickt hebt der größere Roboter den alten Mann vom Boden auf. Trägt die schlaffe Gestalt zu einem schäbigen Sofa und legt ihn behutsam darauf ab. Verabreicht eine Injektion. Vor dem einzigen Fenster, das einem riesigen Auge gleich in den düsteren Ozean starrt, treiben bleiche Plastiktüten vorbei. Tanzen im unsichtbaren Sog der Meeresströmung. Die beiden Roboter stehen reglos vor dem mottenzerfressenen Sofa. Betrachten den zerbrechlichen Leib, der klein und schutzlos vor ihnen liegt. Sehen hilflos dabei zu, wie das letzte bisschen Leben aus dem fragilen Körper entweicht. „Hilfsmaßnahmen eingestellt.“ ertönt es schließlich aus der Wand. Der kleine Roboter piept sehr leise. Der große lässt einen tiefen, unglücklichen Basston erklingen. Dreht seine kolossale Gestalt langsam um sich selbst und stampft aus dem Raum. Die Stille folgt seinen verhallenden Schritten in lautlosen Wellen. Noch mehr Zeit vergeht. Die Unterseestation schaukelt sanft im Wasser. Die wenigen Lichter, die sie in die Finsternis aussendet, werden von der Unendlichkeit des Meeres verschluckt. Als der große Roboter schließlich zurückkehrt, trägt er ein schimmerndes Gefäß in seinen klobigen Händen. Vorsichtig stellt er es auf den Tisch. Seine riesigen Füße zerstampfen bei jeder Bewegung das zerbrochene Glas auf dem Boden. Der kleine Roboter piept missbilligend. Behutsam hantiert der metallene Riese mit dem Gefäß. Entnimmt ihm seinen kostbaren Inhalt. Befriedigt lässt er sein tiefes Brummen ertönen. „Abschiedssequenz eingeleitet.“ verkündet die körperlose Stimme aus der Wand. Ein antiker Plattenspieler erwacht knatternd zum Leben. Als sich die Nadel auf die zerkratze Schallplatte senkt, klingen Walgesänge aus den staubigen Lautsprechern. In feierlicher Andacht legt der große Roboter eine knospende Rose in die erstarrenden Finger des alten Mannes. Sein sonores Brummen vermischt sich mit den Walgesängen zu einem Lied der Traurigkeit. Die Melodie dringt durch die Station, klingt gedämpft nach draußen, schwingt durch den toten Ozean. Erzählt von einer anderen Zeit. Als das Lied verklingt, erklingt zum letzten Mal die Stimme des Computers. „Selbstzerstörung eingeleitet.“ Die beiden Roboter fahren zurück zu ihren Verankerungen. Warten auf die Implosion. Als die Unterseestation kollabiert, ist niemand da, um es zu sehen.

© sybille lengauer