Cat-astrophen
Richard ist schon wieder in Selbstmordstimmung. Er schläft nicht, isst nicht, trinkt zu viel. Liegt die ganze Nacht lang stoppelbärtig auf der Couch und starrt den Flimmerkasten an. Seufzt manchmal wehleidig in Richtung Telefon, aber den Hörer nimmt er nicht in die Hand. Eigentlich könnte mir egal sein, ob er sich umbringt oder nicht. Seit ich herausgefunden habe wie der Wasserhahn in der Küche funktioniert, könnte ich ihn einfach machen lassen. Verdient hätte er es ja, für so viel Dummheit. Jedes Mal verteilt er Berge von Trockenfutter in allen Zimmern, aber an ausreichend Trinkwasser denkt er nicht. Ich könnte nach seinem Tod wochenlang fressen bis ich platze, wäre aber nach kurzer Zeit verdurstet, schönen Dank auch. Eigentlich könnte es mir wirklich egal sein. Aber irgendwie habe ich mich so an ihn gewöhnt… Das ganze Elend begann vor einigen Monaten, als uns die Frau-mit-gutem-Geschmack verließ, ohne ihre Zahnbürste mitzunehmen. Sie ging nach einem lauten Streit beim Frühstück und kam nicht mehr zurück. Ich vermisse ihre selbstgemachten Heringshäppchen in Aspik, die sie auf einem hübschen Teller mit Goldrand servierte. Nicht im Napf, nein, auf dem Teller! Ich vermisse die funkelnden Armreifen an ihren Handgelenken, die so verführerisch klimperten, wenn sie zärtlich mein Fell streichelte. Seit sie uns verlassen hat, überflutet Alkohol das Haus, Richard schleppt oft große Einkaufstüten herbei, in denen Rotweinflaschen klirren. Ich kann es nicht leiden, dass er sich besäuft, also versuche ich seine Exzesse zu verhindern. Ich habe bereits sämtliche Weingläser zu Boden geworfen, den Korkenzieher hinter dem Katzenklo versteckt und auf die Einkaufstüten gepinkelt. Aber Richard hat nur stoisch meine Pisse weggewischt, die Flaschenkorken mit dem Daumen eingedrückt und den Wein aus einem Senfglas getrunken. Zur Strafe habe ich einmal in seine Turnschuhe gemacht, doch auch das hat er wortlos hingenommen und die Schuhe einfach weggeworfen. Schließlich ging die Sache mit dem Trockenfutter los. In jedes Zimmer stellte er eine Schüssel voll, jeder Raum eine andere Geschmacksrichtung. Erst dachte ich, er wäre endlich vernünftig geworden und wolle sich für sein widerwärtiges Verhalten der letzen Zeit entschuldigen. Doch als er dann bei Kerzenschein und schummriger Musik in die Badewanne kletterte und weinend nach einer Rasierklinge griff, erfasste ich den wahren Grund seiner Großzügigkeit. Ich rettete sein Leben durch einen beherzten Sprung in die Wanne, ein Akt der spontanen Nächstenliebe, den ich im selben Moment bereute. Fast hätte ich ihn selbst zu Tode geschnetzelt, wir überlebten nur knapp und mit angeschlagener Würde. In den darauffolgenden Tagen ging es ein wenig bergauf mit ihm, Richard trank weniger, brachte die Wohnung in Ordnung und kaufte ein neues Kratzbrett für meine Spielecke. Die Futterberge verschwanden aus den Zimmern, was ich heimlich bedauerte, dafür schenkte er mir mehr Aufmerksamkeit und Wärme. Doch mein Glück hielt nicht lange an, Richard begann rasch wieder in seiner Traurigkeit zu versinken. Als er die Futterschüsseln erneut in die Zimmer stellte, war ich vorgewarnt. Ich beschloss, ihn besser nicht aus den Augen zu lassen, legte mich auf seinen Schlüsselbund und stellte mich schlafend. Während Richard fluchend die Wohnung auf den Kopf stellte, wich ich nicht von meinem Platz und fauchte, wenn er mir zu nahe kam. Ich lag auf dem Schlüsselbund, bis Richard die Suche aufgab und murrend den Flimmerkasten einschaltete.
Dieses Schlüsselspiel spielen wir seither alle paar Tage. Wenn Richard komisch wird liege ich schneller auf dem Schlüsselbund, als er blinzeln kann. Natürlich weiß ich, dass der Kampf so nicht zu gewinnen ist, aber was soll ich schon anderes tun? Ich bin nur ein verdammter Kater. Ich werde also die Rasierklingen verstecken und auf seinem Schlüsselbund schlafen, bis er das Schlimmste überwunden hat. Auch wenn es mir eigentlich egal sein könnte. Aber irgendwie habe ich mich so an ihn gewöhnt.
© sybille lengauer