Mit ‘Gedanken’ getaggte Beiträge

Vielleicht

Veröffentlicht: Februar 12, 2014 in Geschichten oder so ähnlich, Politisches
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Vielleicht laufe ich bald weg. Laufe von zu Hause weg, wie ein kleines Mädchen, das sein ungerechtes kleine-Mädchen-Leben nicht mehr erträgt. Das meint, es müsse in die große, weite Welt hinauslaufen, weit weg von der arroganten Engstirnigkeit, der spröden, langweiligen Erwachsenendiktatur. Das sich dann, keine drei Kilometer von zu Hause entfernt, im Wald verläuft und mit verweinten Augen den wolkenverhangenen Mond anheult. Wimmert und bettelt, dass es wieder ganz brav sein will. Das Gemüse essen, früh zu Bett gehen, die Hausaufgaben machen. Während der Wind um die zerzausten Baumwipfel braust und mit dem spärlichen Licht grausame Schattenspiele treibt.

Vielleicht laufe ich bald weg.

Aber noch sitze ich hier. Züchte Grübelfalten wie seltene Schmetterlinge.

Vielleicht lasse ich mich gehen. Lasse mich gehen, wie diese aufgedunsenen Saufbräute, über die man manchmal im Supermarkt stolpert. Blondierte, strohtrockene Stachelhaare. Hektisch-rote Flecken im vernebelten Gesicht. Das Leben war nicht gut zu ihnen. Hat sie behandelt wie ein drittklassiger Kellner einen Penner behandelt, der um ein Glas Wasser bittet und nur einen abfälligen, ekelerfüllten Blick erntet. Der mit einem Arschtritt aus dem Restaurant fliegt, während sich die Gäste kopfschüttelnd über ihre welken Pommes mit Schnitzelimitat beugen und so tun, als hätten sie so etwas spannendes noch nie gesehen. Dem keiner hinterherweint, wenn er später tot in der Gosse aufgefunden wird. Erfroren, erschlagen oder sonst irgendwie erniedrigend verstorben. Die Saufbräute haben mit stoischer Mine die Rechnung gezahlt, all die trüben Abende lang. Mit Bier, Weiß- oder Rotwein und später mit dem billigen Korn, der immer ganz unten im Regal zu finden ist. Wie sie selbst, immer ganz unten.

Vielleicht lasse ich mich gehen.

Aber noch sitze ich hier. Mikroskopiere Gedanken wie verseuchte Fadenwürmer.

Vielleicht reiße ich alles nieder. Reiße meine Existenz in Stücke, wie ein wütender Elefant seinen Zoowärter, dem er all die Jahre zuvor brav den Rüssel gereicht, das müde Bein entgegengestreckt hat. Dem jetzt plötzlich wieder einfällt, wie es sich angefühlt hat, als er noch ein echtes Tier war und nicht ein blasser Abklatsch seiner selbst, mit vermosstem Gehirn, erschlafften Muskeln und einer Trauer im Blick, die niemanden interessiert. Der seiner Wut freien Lauf lässt und hinterher erschossen wird, weil von seinem Wächter nichts mehr übrigblieb, als ein feuchter Flecken Fleisch auf dem desinfizierten Betonfußboden. Den anschließend die Löwen fressen, obwohl er schmeckt wie ein alter, ranziger Lederschuh.

Vielleicht reiße ich alles nieder.

Aber noch sitze ich hier. Zupfe Gedankenfäden wie welke Salatblätter.

Vielleicht bleibe ich auch hier. Bleibe hier und schaue meinem Leben zu, wie es dahinfließt. Kein trübes Rinnsal, kein reißender Fluß. Einfach ein ganz normales Leben. Mit kleinen, weißen Schaumkronen, die auf den leisen Wellen tanzen. Mit silbernen Fischen, die hektisch nach Kriebelmücken schnappen. Mit Treibgut, Abwasserzufluss und ein wenig Gold im Sand, damit es beim Sonnenuntergang im roten Abendlicht schimmert.

Ja, vielleicht bleibe ich auch hier.

© Sybille Lengauer

Dunkel

Veröffentlicht: Mai 17, 2011 in Geschichten oder so ähnlich
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Dunkel ist es hier draußen. So Dunkel. Ich liege auf kaltem Beton und höre Musik. Spüre wie sich kleine Kieselsteine gegen meine Schulterblätter drücken. Friere ein wenig. Schaue in den noch kälteren Himmel und stelle mir vor, dass irgendwo im Universum ein unbegreifliches Wesen gerade dasselbe macht wie ich. Einsame Straßenlichter spiegeln sich in meinen Augen. Ich rieche nasses Gras, feuchte Erde, Tannennadeln. Drehe die Musik ein wenig lauter und presse die Ohrstöpsel fester in meine Ohren. Frage mich, wie viele Menschen hier unten gerade dasselbe hören wie ich.

Dunkel ist es hier draußen. So Dunkel. Meine Gedanken dehnen sich auf dem kalten Beton und hören Kopfmusik. Spüren wie der Körper ein wenig unruhig wird, sich an den Kieselsteinen stört. Er friert. Meine Augen blicken hoch zum gefrorenen Himmel. Ich denke an Sternschnuppen und einen letzten Wunsch, der noch frei sein könnte. Der noch ungezwungen sein könnte. Unausgesprochen im Raum hängen könnte, starr in der Luft schwebend wie ein fragiler Kolibri aus Glas. Kleine Lichtblitze funkeln in meinem Kopf, spiegeln sich in den Augen, die den Himmel nach einer Antwort absuchen. Ich spüre die Vibration, als ein Auto vorbeifährt, rieche seine Abgase und denke an Urwälder vergangener Zeiten. An den Ursprung. Den Urknall. Frage mich, wie vielen Menschen hier unten gerade dasselbe tun wie ich.

Dunkel ist es hier draußen. So dunkel. Ich liege auf dem kalten Beton und über mir ziehen Wolken durch den Himmel. Regentropfen fallen auf mich herab. Ich starre die Wolken an und stelle mir vor, dass der Regen aus einem weit entfernten Ozean kommt. Raum und Zeit überbrückt hat, um sich nun auf meine Haut zu stürzen. Mein Körper zittert gegen die Kälte. Ich denke an Flüsse, die im frühen Morgenlicht zu dampfen scheinen. Denke an Nebelschwaden, Wolkenbrüche und Sommergewitter. Frage mich, warum die Zeit in den schönsten Momenten immer so schnell vergeht. Ich rutsche ein wenig hin und her, fühle wie mein Körper über den Boden schrappt. Mein Kopf drückt gegen den Boden, drückt immer fester, bis es weh tut. Haare bleiben im Beton hängen, ich lasse etwas zurück, bevor ich aufstehe und gehe. Gehe ich überhaupt? Oder bleibe ich liegen, bis Moos anfängt, auf mir zu wachsen? Ich frage mich, wie viele Menschen hier unten gerade über das Sterben nachdenken.

© Sybille Lengauer