Mit ‘Hirnwichsen’ getaggte Beiträge

Es geht weiter

Veröffentlicht: Februar 11, 2020 in Gefasel
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Es geht weiter…
(Auszug aus „Hirnwichsen“, Text ca. 2002)

Verhungert im Gefühlsbereich und trotzdem übersättigt von all den Liebesbeteuerungen, die man sich zur Bestätigung immer wieder um die Ohren schleimt, so wie Hunde sich gegenseitig am Arsch beriechen. Emotional ausgedörrt und chronisch unterfickt, obwohl man sich doch regelmäßig gegenseitig das Gehirn herausvögelt, um zu beweisen, wie geil man immer noch aufeinander ist. Seit ach so langer Zeit. Und es geht weiter. Was man so denkt, was man so gemacht hat, wo man so war und wie es da gewesen ist, alles wichtig, damit einem der Gesprächsstoff nicht ausgeht, weil Schweigen ja der Tod ist. Obwohl es doch nichts Schöneres gibt, als auch wortlos glücklich zu sein. Mhm.
Die richtigen Gedanken teilt man dann mit dem kleinen Arschloch im Gehirn, das einem vom eigenen Verfallsdatum erzählt und wissen möchte, was man im Leben eigentlich noch so vorhat, außer nett, glücklich und zufrieden sein. Und man schämt sich, dass man genau DAS nicht ist und eigentlich auch gar nicht sein will, weil die Motivation fehlt, man am Ziel schon längst vorbeigeschossen ist und eigentlich auch sich selbst schon längst aus den Augen verloren hat. Unzufrieden und doch gut eingelullt von der allgemeinen Lebensbequemlichkeit, voll Tatendrang, wenn’s mal wieder nichts zu tun gibt, aber leider mit allen möglichen Unmöglichkeiten beschäftigt, sollte doch einmal etwas Wichtiges anstehen. So vergeht das Leben und geht doch weiter und immer weiter, bis man irgendwann zu alt ist, um das Arschloch im Hirn zu finden, da es sich mittlerweile nach Südtirol abgesetzt hat und dort Ski fährt, weil man selbst nichts mehr zum Kotzen findet, als Schnee…

© sybille lengauer

(Fast 20 Jahre später kann ich meinem jüngeren Schreiber-Ich versichern, dass das kleine Arschloch im Gehirn immer noch da ist. Wir haben uns sehr aneinander gewöhnt und Schnee ist unser Freund geworden…)

Auf einem Stick fanden sich noch ein paar Übersetzungen…

Somewhere Nowhere

Somewhere a heart beats an unsteady rhythm until it falters. It gives its soul the possibility to flee its miserable cover.
The now dead body is only an empty, flabby cover, which soon is going to wear the features of rigor mortis.
The parties of grief and heir moan and lament at the death bed, while calculating the legacy and estimating, how much grief seems worthy and suitable.
Somewhere up there, a stubby gentleman sits on a candy-cloud. He asks each spirit into his office and looks deep-down their souls. He inspects them to decide if they’re worthy enough to await the paradise behind the shed and have filled in the forms correctly, of course.
Somewhere down there, another gentleman waits for those souls, the one up there thinks of as unworthy. Besides he calmly cleans his fingernails with his hideous prick. He moves his behind to position himself more comfortably on his red velvet cushion. He inhales the air, which’s got his preferred temperature of 180 °, through his enormous nostrils.
In between hiss a few winged castratos to and fro, tell weird stories about heaven and hell to offer the gentlemen some kind of amusement…
…and…
Right in the thick of it, the human sits in his church, freezes his buns off and is scared shitless, because his doctor told him about an increasing risk of heart-attack.
Amen.

© Sybille Lengauer
Translated by Giovanna Letizia

The Clock
(a short night melody)

I’m sittin’ in the kitchen and listen to the clock, it’s cutting the hours
TICK
I’m starin’ at the wall, it’s got cracks, it’s as yellow as nicotine and ugly
TICK
I’m examinin’ the shelves, the scraps of wall paper, wilting plants
TICK
I’m lookin’ at my hands, which are lying on the table, which is sticky and old
TICK
I’m gettin’ up slowly, holding the chair behind me, which’s got a loose leg
TICK
I’m goin’ into the bathroom, see the mirror and behold the horror as expected
TICK
I approach the window, it’s dirty and smeared, I see walls and rain
TICK
I’m takin’ my pistol out of its casket inside the cupboard, it’s colourless and dusty
TICK
I put in the magazine, position it on my temple, forgot to load
CLICK
TICK
I’m goin’ back to the kitchen, load and shoot this god damned clock!
TI-BOOM
Since then, I’m merry again, ‘cause time stands still, at least in my kitchen
FOREVER

© Sybille Lengauer
Translated by Giovanna Letizia

The whorehouse language

Self-important jabbering bubbles aimlessly,
Witless, useless, directly out of the paunch
No detour via the brain
Rumen communication

It babbles, it maunders, it fiddles, it whispers,
It gossips, it mumbles, it chats, it prates,
It cackles, it stutters, it natters, it stammers,
It jabbers, it prattles, it twaddles, it speaks!

A rage and roar of words and tones,
A sea of sounds, equals a monkey stable
The totty squeal and gibber
The blokes rut like the rams
And the brats…
Not to think of!

And not one syllable, not a tiny hint,
Is somehow of  importance,
Has even the smallest weight
It is a crime, a scorn unparalleled

Contagious as scabies,
It infects the young and the old,
Mixes the poor with the rich,
Confuses all classes
A leveller like the (grim) reaper
Only meaner

Unites the people of the earth in bereft of content
Unites them happily in claptrap without substance
Unites them, even with conflicts,
In endless feeble-mindedness

The whorehouse language
Betrays us all. Although partly already dead!
The Babylonian she-dog
Sneaks through our alleys
Unfortunately not to be stoned

© Sybille Lengauer
Translated by Giovanna Letizia

Titel optional

Veröffentlicht: Juli 8, 2013 in Gefasel
Schlagwörter:, ,
Schmerzen.
Grauslich-grässliche.
Abartig hässliche.
Im Magen, vor allem.
Und im Schädel.
Wenn er sich meldet.
Dann aber klatscht es.
Bohrt und dröhnt es.  
Beschämt und verhöhnt es.
Weil hirnen nicht unerhebliche Dresche bedeutet.
Und wichsen auch.
Feste drauf!
Mitten ins Gesicht, wenn möglich.
Und sowieso zieht es mir langsam das Fleisch aus der Haut.
Schmerzen.
Mein Zauberwort.
Und Hölle sogar!
Aber da muss ich jetzt durch.
Zerschlagen bis in die Haarspitzen.
Muss die letzten Zentimeter auch noch hinter mich bringen.
Wie bei all diesen Dingen.
Mit blutigem Auswurf.
Also, Schnorchel korrigieren.
Anzug adjustieren.
Und LOS!
Abtauchen in die braune Brühe, die mal keine Nazis meint.
Hurra!
Hab ich einen Plan?
So einen richtigen, einen viel Schichtigen?
Einen mit Beinen, einen zum Reimen?
Nö.
Nichts da.
Verpiss dich.
Schmerzen.
Grauslich-grässliche.
Abartig hässliche.
Jetzt auch in deiner Stadt.
Zum Selbstkotzen-Tarif.

© Sybille Lengauer

Westfälische Nachrichten,
Reim und Rhythmus mit Sybille Lengauer
Fintenreiche Meisterwerke

Ihre Lyrik steckt voller Brandsätze, ihre Prosa explodiert vor mutigen Wortkanonaden. Nicht nur mit ihrer äußeren Erscheinung ist Sybille Lengauer eine der schillernsten Persönlichkeiten innerhalb Münsters junger Literaten-Szene. 2002 kam sie der Liebe wegen aus dem österreichischen Linz ins Münsterland. Zu ihren Lesungen erscheint sie mit immer neuen extravaganten Outfits. Immer aber als eine „Diva zum Anfassen“, scheut sie sich nicht vor strapaziösen Fahrten, um beispielsweise Kollegen honorarfrei bei Benefiz-Veranstaltungen zu unterstützen.

Kompromisslos ist die Autorin Jahrgang 1980 nur, wenn es um ihre Texte geht. Während ihrer Auftritte bei Poetry-Slams verzichtet Sybille Lengauer nicht selten auf jegliche Form von Effekthascherei beim Vortrag. Wenn ihr am jeweiligen Abend ein bestimmter Text unter den Nägeln brennt, bezieht sie deutlich Stellung – ohne Rücksicht auf den Wettbewerb. Mit „Goldstaub und Ruinen“ veröffentlicht Sybille Lengauer nun bereits ihren dritten eigenen Band seit 2008, prall gefüllt mit neuer Lyrik und Prosa. Auf 130 Seiten findet der Leser über 80 Gedichte und Geschichten, gewidmet „all jenen, die gegangen sind und all jenen, die noch kommen werden“.

Sybille Lengauer beherrscht Reim und Rhythmus mit Leichtigkeit. Ihre Dichtung wirkt nicht gestelzt, ihre Erzählungen sind fintenreiche, kleine Meisterwerke. Mit Wortschöpfungen wie „Nespressonestwärme“ und „Kontaktarmutskinder“ präsentiert sie ihre Lust am spielerischen Umgang mit der Sprache. Leseproben finden sich auf zahlreichen Seiten im Internet. Während einer Book-Release-Party am heutigen 24. März um 20 Uhr in der Kulturkneipe „Frauenstr. 24“ wird Sybille Lengauer „Goldstaub und Ruinen“ offiziell der Öffentlichkeit vorstellen.

» Sybille Lengauer, „Goldstaub und Ruinen“ Edition PaperONE, 9.95 Euro.

Gerold Marius Glajch

Mr. Eugenius Victor Rudolpho Kramer war ein armer, gequälter Mann. Nicht nur wegen eines Namens, den ihm seine Eltern im Marihuanarausch verpasst und dabei keinen Moment an ihn gedacht hatten. Nein, Rudolpho hatte ein noch viel größeres Problem. Nun, eigentlich drei. Das Erste hieß Esmeralda Kramer und war sein gebieterisches Eheweib. Eine Ausgeburt der Hölle, welche in seinem tragischen Leben die tragende Rolle des Unterdrückers übernahm. Das Zweite ist allgemein bekannt als Lepra.
Nun war es nicht so, dass unser Freund Rudolpho mit seinem Namen und dem Aussehen eines glatzköpfigen, untersetzten Mittelschullehrers jemals gute Chancen im Leben erhalten hätte, aber DAS hatte er nun wirklich nicht verdient.

Ein ehrlicher, kleiner Mann hat auch das Recht auf ein ehrliches, kleines Leben, wie Ihnen jeder sozial engagierte Mensch bestätigen wird! Mrs. Kramer, unumschränkte Herrscherin des Haushaltes, war jedoch die Bewahrerin einer alten, sehr fanatischen Glaubensfraktion. Sie gehörte zu den letzten ihrer Art, doch war sie,  als Mutter Oberin, stets bestrebt, ihre Religion der „Kindergebärenden Haus- und Herdmaschinen“ in die Welt zu tragen. Zu diesem Zwecke hatte sie auch drei Töchtern das Leben geschenkt, deren väterliche Bindung sie auf ein Minimum reduzierte. Mrs. Kramer nährte und umhegte ihre drei Novizinnen, zog sie sorgsam hoch wie Spargel und stattete sie mit Fähigkeiten wie dem Erwittern von 0,01 Promille und dem Aufspüren fremden Frauenhaares auf Männerhemden aus.

Doch das Wichtigste, was die Schülerinnen und Töchter bei Esmeralda Kramer lernten, war Sauberkeit und dies war letztlich Rudolphos größtes Problem. Seit Ausbruch seiner Krankheit vom Dienst suspendiert, dem Tode schon viel näher als er es wahrhaben wollte, befand er sich nun vollends in den Fängen seiner irren Ehefrau. Niemals fähig, sich zur Wehr zu setzen, hatte er seine letzten Lebensjahre an dieses Weib verloren. Mit Blut unterzeichnet war das Ehegelöbnis, aufgehängt über dem Kamin, Esmeraldas größter Stolz und Rudolphos persönliches Damoklesschwert. Aus seinen früher vereinzelt auftretenden Schuppen war nun ein wahrer Hautfetzenregen geworden und Esmeralda konnte weder das noch Mr. Kramers allzu strengen Verwesungsgeruch ertragen.

Keifend und zeternd durchstreifte sie, mit Staubsauger und Wischtuch bewaffnet, die Wohnung, während sich Rudolpho seufzend in seine Leseecke zurückzog. Seinem Schicksal blind ergeben fügte er sich ihren Launen, duschte viermal täglich, umhängte sich mit Duftbäumchen und trug einen Ministaubsauger in seiner Westentasche. Er verbrachte seine Zeit mit Zeitung lesen, Nachrichten schauen und hin und wieder, wenn es ihm sein Weib gestattete, las er ein bisschen in Shakespeares Romeo und Julia. Mrs. Kramer wusste jedoch genau, dass all diese Romantik ihren geliebten Rudiwudi zu sehr aufwühlte und so erhielt er nur selten die Erlaubnis zu dieser kleinen Erbaulichkeit. Die meiste Zeit brachte er in seinem geliebten Ohrenbackensessel zu.
Erbstück und letzter Halt seiner Männlichkeit.

Stunde um Stunde verharrte er dort, um aus dem Fenster die Vögel im Park zu beobachten. Doch auch diesen allerletzten Fels in der Brandung hatte seine Ehefrau nun im Visier. Den alten Fetzen, wie sie meinte, müsse man umgehend aus dem Hause schaffen. Er sei eine Schande und wenn nun einmal Besuch käme, könne man sich gar nicht ausdenken, was die Leute dazu sagen würden! Sie verlangte die umgehende Abschaffung dieser augenpeinigenden Pietätlosigkeit, wie sie sich naserümpfend äußerte. Mr. Kramer weigerte sich jedoch beharrlich und verlor vor lauter Aufregung gar seine Oberlippe. Zitternd und bebend verlangte es ihn, diese letzte Bastion seiner ehemaligen Lebensfreude zu erhalten.

Doch Rudolphos Nemesis blieb trotz dieses erschütternden Vorfalles stur, und als Mr. Kramer einmal von einem seiner raren Spaziergänge nach Hause kam, war sein geliebter Sessel entschwunden. Das Entsetzen, das er in jenem traurigen Moment verspürte war unbeschreiblich. Esmeralda hatte es getan. Der Sessel war vernichtet worden, so wie zuvor jedes andere Stückchen Persönlichkeit, das Rudolpho Kramer jemals besessen hatte. Zutiefst erschüttert nahm sich Mr. Rudolpho Kramer, leprakranker, suspendierter Mittelschullehrer aus Münster, das Leben. Er erhängte sich an der Stelle, an der er früher immer gesessen hatte und hinterließ nicht mal einen Abschiedbrief. Mit einem sanften Seufzen schied er aus seinem elenden kleinen Leben und seine Seele fuhr mit einem Furz direkt zur Hölle nieder.

© Sybille Lengauer