Ich habe dich gerufen. Ich habe so lange deinen Namen gerufen, bis meine Stimme nur noch ein krächzendes Flüstern war. Mich auf dem Boden gewunden. Mit suchenden Fingern. Zitternden Muskeln. Du hast derweil im Nebenzimmer in den Fernseher gestarrt. Gemütlich auf dem Ledersofa. Ich habe Blut gekotzt. Blut geschwitzt. Mir die Zähne zu kleinen Brocken zermalmt. Du hast weiter dein beschissenes Programm geschaut. Germanys next Top-Trottel, oder so. Hast dir Chips ins Maul gestopft, während ich hier langsam krepiert bin. Ja, krepiert. Jetzt bist du Arschloch traurig. Hast Depressionen, weil du mir nicht geholfen hast. Weil du keine fünf Meter von mir entfernt deinen faulen Arsch kultiviert hast. Mit dem spitzen Fingernagel in der Nase. Du suchst jetzt einen Therapieplatz. Ich bin tot.
Bei meiner Beerdigung waren kaum Leute. Hat mich nicht überrascht, ich war kein geselliger Typ. Aber ein paar mehr hätten es schon sein können. Obwohl. Das Wetter war auch ein bisschen zu gut für so eine Veranstaltung. Wer will schon auf einem Friedhof herumstehen, wenn er auch am Badesee liegen kann. Oder schön schlemmen im Eissalon. Du warst sehr wohl da. Gramgebeugt und tränenüberströmt. Hast ausgesehen wie eine fette, traurige Krähe. Umgeben von deinen fetten, traurigen Krähenfreundinnen. Wobei du doch ein wenig abgenommen hast, seit dich die Schuldgefühle zerfressen. Geschieht dir ganz recht. Nun hockst du wieder vor dem Fernseher. Starrst mit glasigen Augen. Siehst nichts. Hörst nichts. Ziehst gedankenverloren immer wieder eine Haarsträhne durch deine Finger. Bist ein Schatten deiner selbst. Ich schwebe hinter dir durch das Sitzmöbel. Am Anfang war das noch recht unheimlich, aber mittlerweile macht es mir nichts mehr aus. Ich gewöhne mich an alles. Wenn ich durch dich hindurch schwebe und mich konzentriere, dann bekommst du eine Gänsehaut. Fühlst dich sichtlich unwohl. Also mache ich das jetzt alle paar Minuten.
Vorhin hast du mit deiner besten Freundin telefoniert. Die mit den riesigen Titten und der Turmfrisur. Habe mich immer gefragt, wie es wohl wäre, mein Gesicht zwischen diese massigen Dinger zu stecken. Dachte immer, es müsse sich anfühlen wie weiche, fleischige Ohrenschützer. Finde ich wohl nie mehr heraus. Was ich so mitgehört habe, ist sie voller Verständnis für dich und deine Situation. Glaube ich gerne. Sie ist mindestens so dämlich wie du. Morgen wollt ihr gemeinsam ins Kino. Wenn ich kann, vermiese ich dir diesen Ausflug nach Strich und Faden. Mir fällt sicher etwas ein. Du greifst nach einem Taschentuch, weil dir wieder die Tränen kommen. Wundert mich schon, dass du derart viel heulst. So sehr hast du mich doch gar nicht mehr geliebt. Hast du selber gesagt, neulich, als ich noch lebendig war. Scheinbar vermisst du mich doch mehr, als wir beide angenommen hatten. Aber vielleicht heulst du auch, weil du dir selber leid tust. Darin warst du schon immer meisterlich. Ich wandere wieder einmal durch dich hindurch. Du schauderst und seufzt. Das wird mir bestimmt nie langweilig.
Irgendetwas stimmt mit dem Plafond nicht. Er schimmert und wabert ein wenig. Kleine, glitzernde Funken fallen auf den Boden. Das sieht ganz schön verrückt aus. Du bekommst davon nichts mit, also scheint die Show für mich zu sein. Ich schwebe aus dir heraus und das Schimmern wird stärker. Ein Kreis aus hellem Licht erscheint. Ein bisschen spät, wenn mir die Bemerkung gestattet ist. Hänge seit zwei Wochen hier herum. Aber jetzt merke ich, wie es mich langsam zum Licht zieht. Warm und angenehm ist es darin. Ich glaube, ich höre leise Musik. Also, damit wäre es endlich überstanden, nicht wahr? Wir sehen uns dann drüben, wenn es unbedingt sein muss. Dann kann ich dir vielleicht endlich das blaue Auge verpassen, das du verdient hast. Mach’s gut, du blöde Kuh.
Ich wünsch dir einen schönen Hochzeitstag.
© Sybille Lengauer