Ja, es macht mir etwas aus…
Eigentlich bin ich ja eine die viel aushalten kann. Ich habe ein dickes Fell, muss mich nicht groß aufregen, schon gar nicht künstlich. Bin ein ganz entspannter Typ, förmlich ein kleiner Buddha, könnte man sagen. Aber das hier, das setzt mir mittlerweile schon ganz schön zu. Erst war es ja keine große Sache. Hatte ich eben ein bisschen mehr Glück und ein anderer ein bisschen weniger. Was sollte schon passieren. Geht eben einer von 7 Milliarden Menschen abends etwas trauriger ins Bett, unglücklich sind viele. Einer mehr macht das Kraut nicht fett. Dafür gewinne ich endlich beim Grand-Prix-der-Poesie und kann freihändig mit dem Motorrad durch einen Stau fahren. Wollen Sie mir vielleicht erzählen, Sie hätten eine solche Möglichkeit abgelehnt? Wobei ich eigentlich nicht gefragt wurde. Vincent hat mir damals bei einer Massage von seiner neuesten Erfindung erzählt, so Anfang 2012 muss das gewesen sein. Er fabulierte über etwas, dass er Chaosforschung nannte und schwafelte lang und breit von der faszinierenden Oszillation kleinster Teilchen. Ich habe nicht wirklich verstanden, was das bedeutet. Natürlich nicht. Ich habe das ja auch nicht studiert. Aber es hörte sich interessant an und ich hatte nichts Besseres zu tun. Also überredete ich Vincent mir diesen ominösen Apparat zu zeigen, der angeblich das Glück beeinflussen sollte. Eitel wie er war, brannte er förmlich darauf den Prototyp zu präsentieren. Etwas Wimperngeklimper und Schmollmundschnute, schon schmolz er dahin, der törichte Gute. Sie merken schon, das Lyrische steckt mir einfach in den Knochen. Jedenfalls, der Apparat war so ein kleines, unscheinbares Ding, nicht größer als eine Zigarettenschachtel. Ich dachte erst Vincent verarscht mich. Doch er war der festen Überzeugung, dieses Gerät könne das individuelle Glück manipulieren. So geschwollen drückte er sich immer aus. Natürlich habe ich nach einem Beweis verlangt. Kann ja ein jeder daherkommen und alles mögliche erzählen. Vincent stellte das Gerät auf meine Schwingungen ein und schickte mich in den nächsten Zigarettenladen, um ein Rubbel-Los zu kaufen. Langer Rede kurzer Sinn, der Apparat gehört seitdem mir. Vincent setzte zwar einiges daran ihn wieder zurück zu bekommen, aber im Gegensatz zu mir hatte er kein Glück. Der Gute. Schon ein Jammer, dass er kurz darauf von einem banalen Küchenregal erschlagen wurde. Er, ein vielgeehrter Professor und all das. Und dann so etwas. Zwischen zerschlagenen Gläsern und Tellern, selbst auch ganz zerschlagen, mausetot auf dem Küchenfußboden. Einfach entwürdigend. Ich habe ihm eine angemessene Beerdigung spendiert, das war ich ihm einfach schuldig. Aber ich schweife ab. Wir waren ja bei meinem Glücksapparat. Den trage ich seither immer bei mir. Bei Tag und Nacht. Manchmal muss ich die kleine Batterie auswechseln, die ihn in Betrieb hält, doch sonst läuft er wie geschmiert. Und genau das scheint, wie ich vermute, ein Problem zu sein. Denn, sehen Sie, ich hatte verdammt viel Glück in den ersten Jahren. Wirklich außerordentlich viel Glück. Sie werden bestimmt den ein oder anderen Bericht über meine abenteuerlichen Weltreisen gelesen haben, die Boulevardblätter waren ja eine zeitlang voll von den Geschichten. Ich schwamm nicht mit der Gefahr, ich ritt auf ihr durch aller Herren Länder. Haben Sie von meinem SpaceY-Flug zum Mond gehört? Natürlich haben Sie. Ach, was habe ich diese Zeit genossen. Ein Leben in Saus und Braus, keine Sorgen, keine Ängste. Ich war einfach glücklich. Bis 2016 kam und die Briten sich völlig unerwartet für den Brexit entschieden. Als kurz darauf auch noch Trump zum Präsident der USA gewählt wurde begannen die Zweifel. Bohrende, nagende Fragen drängten sich auf. So manche Nacht lag ich wach und grübelte, ob mein Glücksapparat dafür verantwortlich war, dass die Dinge aus dem Ruder liefen. Ich meine, natürlich ist die Welt ein Sauhaufen, war sie schon immer und wird sie auch immer bleiben. Aber war sie wirklich so abgrundtief verdorben, oder lag es an einem Ungleichgewicht, das der Apparat zu verantworten hatte? Ich war zutiefst verunsichert. Also hielt ich mich ein paar Jahre bedeckt. Keine Abenteuerreisen mehr, keine Ausflüge ins Weltall. Nur ein wenig leichte Gartenarbeit und gelegentliche Kurzausflüge ans Meer. Natürlich ließ ich den Apparat weiterlaufen. Könnte mich sonst ja jederzeit ein Unglück ereilen. Ein hastig geschluckter Bissen ist schon ganz anderen zum Verhängnis geworden. Ganz zu schweigen von den unzähligen Verkehrsunfällen, Raubmorden und sonstigen Tragödien, die einen jederzeit unvorbereitet treffen können. Und so hatte ich auch weiterhin unverschämtes Glück. Bei der Gartenarbeit stieß ich zwischen den Zwiebeln meiner preisgekrönten Tulpen auf die fossilen Knochen eines bisher unentdeckten Flugsauriers. Das war natürlich eine Sensation. Bei meinen Spaziergängen an der See habe ich so viele verlorene Wertgegenstände gefunden, dass ich sie nicht mehr zählen kann. Ich habe ein eigenes Zimmer, randvoll mit diesem Zeug. Manchmal setzte ich mich in diesen Raum der verlorenen Gegenstände und stelle mir die Leute vor, wie sie nach ihren Sachen suchen. Irgendwie beruhigt mich das. Und Ruhe, die ist eigentlich das Stichwort. Wissen Sie, seit dem Ausbruch der Pandemie schlafe ich wirklich schlecht. Ständig überfällt mich der Gedanke, dass vielleicht ich… Na, Sie wissen schon. Was, wenn es doch einen Unterschied macht, ob einer von 7 Milliarden Menschen abends trauriger ins Bett geht? Deshalb habe ich mich auch zu dieser Therapie entschieden. Ich hoffe, dass Sie mir weiterhelfen können, wertester Doktor Gonzalez. Denn das hier, das macht mir langsam wirklich etwas aus…
© sybille lengauer