Mit ‘Science Fiction’ getaggte Beiträge

Sonntag, 12. Juni 2022, ab 20 Uhr:

Ausgabe 10 von Talkien – Hat Science Fiction ein Geschlecht? Um diese Frage zu klären haben wir eine eolquente Gästerunde zusammengestellt: Lie H. Lie Hay Ard, Gabriele Behrend, Sybille Lengauer und Jacqueline Mayerhofer werden unseren Horizont erweitern.

www.youtube.de/BrennendeBuchstaben

Donnerstag 23. Juni 2022, ab 20 Uhr:

Bücherplausch im Café YOLK, Bennohaus Münster, von und mit Renate Rave-Schneider und Andrea Timm

Lesung an diesem Samstag, auch live über Youtube.

Samstag, 19. Dezember, ab 20 Uhr: Gabriele Behrend und Sybille Lengauer lesen live.
Nach insgesamt 45 Lesungen der Brennenden Buchstaben wollen wir dieses umfangreiche Veranstaltungsjahr mit zwei Weihnachtelesungen kurz vor Weihnachten ausklingen lassen.
Gabriele Behrend stellt bei uns am 19. Dezember ihren Roman „Salzgras und Lavendel“ vor. Obwohl der Titel das nicht unbedingt offenbart, handelt es sich um einen Science Fiction Roman, um industriell vermarktete multiple Persönlichkeiten. Ab 20 Uhr liest sie in Barlok Barbosas Bühnenbild.
Danach, ab 21 Uhr liest Sybille Lengauer für uns ihre Sci-Fi-Action-Kurzgeschichte „Im Göttergarten – Die Erleuchtung“, ebenfalls in einem Bühnenbild von Barlok Barbosa.


Ton über den Discord-Server der Brennenden: https://discord.gg/P3x79Xw
Und über http://www.radio-rote-dora.org:9000
Live Video Übertragung auf youtube unter http://www.youtube.de/brennendenbuchstaben
SLURL: https://maps.secondlife.com/seco…/Port%20Genieva/51/108/22

Im Göttergarten

Veröffentlicht: September 12, 2020 in Kurzgeschichten
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Im Göttergarten
(Die Erleuchtung)

Hochsommer im Garten der Götter. Drückende Hitze liegt über dem heiligen Paradies, kein Grashalm regt sich in der windstillen Schwüle. Im Schatten einer hochgewachsenen Robinie sitzen zwei jugendliche Gottheiten auf einer hellblau gestrichenen Holzbank und trinken gekühlten Honigwein. Ein kleines Rotkehlchen flattert neugierig heran, um ihr aufkeimendes Gespräch zu belauschen.
„Ich sage dir, die Neue bringt es nicht.“
„Das sagst du doch immer.“
„Diesmal stimmt es aber.“
„Das sagst du auch immer.“
Das Rotkehlchen sträubt enttäuscht das Gefieder, es hat solche endlosen Diskussionen schon viel zu oft mit angehört. Gelangweilt putzt es seine Schwungfedern und fliegt dann rasch davon.
„Sie hat nicht das Zeug zum Propheten“, nörgelt der junge Elefantengott, skeptisch blickt er dem Rotkehlchen hinterher, das zwischen blühenden Mariendisteln verschwindet. Der lange Rüssel im dunkelgrauen Göttergesicht verleiht seinen Worten einen enervierend näselnden Klang. Sein Trinkkumpan, ein Elementargott mit flimmernder Haut und eisblauen Augen, zuckt nur mit den Achseln, er setzt das Glas an und trinkt. Es ist zu heiß, um sich entschlossen zu streiten.
„Ich meine, eine Erleuchtung auf dem Mars? Das ist doch lächerlich!“, ereifert sich der Elefantengott störrisch.
„Jetzt sei mal nicht so konservativ“, stichelt der Elementargott und seine Augen werden gehässig schmal.
„Ich bin doch nicht konservativ!“, trompetet sein Gefährte entrüstet, schwungvoll stellt er sein Glas auf der Bank ab und stemmt die massigen Arme in die Hüfte, um seiner Empörung Ausdruck zu verleihen.
„Auch das sagst du immer“, spottet der Elementargott und lacht schallend.

I
Mars, 11 August 2220. Seit drei Tagen sucht die Besatzung der Terraforming-Station Franquin I fieberhaft nach der verschollenen Bioingenieurin Jona Holt. Im Grunde scheint es unmöglich sich auf einer vollautomatisierten Terraforming-Station zu verstecken, doch Jona Holt kaschiert ihre Lebenszeichen und bleibt, trotz intensiver Bemühungen des Teams, spurlos verschwunden. Wie sie dieses Kunststück fertigbringt ist ihren Kollegen ein Rätsel, aber dass sie sich irgendwo auf der Franquin I verbirgt, steht unumstößlich fest, denn ihr Lieblingsmesser steckte bis zum Griff im Brustkorb des armen Doktor Mossil, als man dessen aufgequollenen Leichnam gestern Abend aus einem Abwasserbecken der Kläranlage zog. Gesäubert und sorgfältig vakuumiert wartet sein zerschundener Körper nun mit der unendlichen Geduld der Toten darauf, als erster Mensch der Geschichte im lebensfeindlichen Sand des Mars beerdigt zu werden.
*
„Schon irgendwie zynisch, oder?“ Jenetta Xing verharrt vor einer schwach beleuchteten Abzweigung und überprüft das Signal ihres Suchgerätes, konzentriert schiebt sie die Unterlippe nach vorn, atmet dabei laut durch die Nase. Das mattgraue Suchgerät vibriert nur schwach in ihrer Hand und liefert keine klare Anzeige. Die stämmige Technikerin runzelt unwillig die Stirn, sie fühlt sich unwohl in ihrer Haut, denn so tief dringt sie nur selten in den unterirdischen Bauch der Station vor. Sie entscheidet sich für den linken Gang und setzt sich zögerlich wieder in Bewegung. „Was meinst du?“, fragt Harry Yves ohne großes Interesse. Er unterdrückt ein Gähnen und trottet lustlos hinter Xings breitschultriger Silhouette her, seine Stimme klingt erschöpft und monoton. „Na, du weißt schon. Das alles eben!“, antwortet die leitende Technikerin, sie wirft ihrem jungen Kollegen einen bedeutungsschwangeren Seitenblick zu und hebt die Augenbrauen. „Er wollte doch unbedingt berühmt werden. Und jetzt ist er es.“ „Wer?“, fragt Harry Yves verwirrt. „Sag mal, merkst du noch was?“ Xings scharfer Tonfall lässt Harry zurückschrecken, er strauchelt über seine Füße und stolpert unbeholfen gegen die glatte Wand des Ganges. „Entschuldige, ich habe nicht aufgepasst“, murmelt er verlegen. „Das merke ich, danke für nichts“, blafft Jenetta Xing. Sie versetzt ihrem jungen Kollegen einen derben Knuff in die kurzen Rippen. „Aua!“ „Ich meine den alten Mossil. Er wollte doch immer eine bedeutende Entdeckung machen. Seinen Fußabdruck im Staub der Geschichte hinterlassen, wie er es nannte. Und jetzt ist er nicht nur der erste Mensch, der auf dem Mars beigesetzt wird, er ist auch der erste Mensch, der auf dem Mars ermordet wurde! Ein Platz in der Geschichte ist ihm sicher.“ „Achso, jaja.“, macht Harry Yves und reibt sich die schmerzenden Rippen. „Du Memme“, knurrt Jenetta Xing gereizt, sie überprüft erneut die Anzeige ihres Suchgerätes und setzt den Weg entschlossen fort. „Miststück“, flüstert Harry Yves leise, sodass seine Vorgesetzte es nicht hören kann. „Habt ihr die Abluftrohre in Sektion III überprüft?“ Die Stimme des Stationsleiters, Doe McGregor, schallt kalt aus der Kommunikationsanlage. „Selbstverständlich, Sir“, antwortet Harry Yves betont freundlich, doch heimlich rollt er mit den Augen. Er empfindet die Nachfragen des Stationsleiters als überflüssig, belässt es jedoch bei einer freundlichen Antwort. Die Stimmung auf der Station ist ohnehin schon angespannt genug. „Gut, ihr habt noch zwei Stunden, dann will ich eure Ärsche im Besprechungsraum sehen. Verstanden?“ „Verstanden, Sir“, antworten Xing und Yves wie aus einem Mund.
*
Im Koordinationszentrum der Franquin I zieht sich Doe McGregor entnervt das Headset vom kahlen Schädel. „Idioten“, knurrt er gereizt, sein Blick wandert ruhelos über die unzähligen Anzeigetafeln und flimmernden Bildschirme. „Wie bitte?“ Stationsarzt Thomas Sheldon hebt irritiert den Blick von seinem Bedienfeld, doch Doe McGregor wiegelt rasch ab. „Nicht du, dich meine ich nicht.“ „Die Leute tun ihr Bestes, Doe. Wir befinden uns in einer extremen Situation…“, beginnt Thomas Sheldon, doch wird er sogleich von McGregor unterbrochen, der abwehrend die Hände hebt. „Lass es, Tom. Ich weiß, in welcher Scheiße wir stecken, dazu brauche ich keine psychologische Analyse.“ „Das Team verlässt sich auf dich“, fährt Sheldon ungerührt fort. „Das Team kann mich mal!“, faucht McGregor aggressiv. Thomas Sheldons dunkelbraune Augen bohren sich in McGregors verkniffenes Gesicht, suchen dort nach Anzeichen eines Nervenzusammenbruchs. „Sieh mich nicht so an. Es geht mir ausgezeichnet“, knurrt der Stationsleiter gereizt, Thomas Sheldon zuckt ergeben mit den Achseln. „Wie du meinst, Sir.“
*
„Es hat aufgehört zu bluten.“ Jona Holt zuckt zusammen und öffnet blinzelnd die Augen. Sie dreht sich aus der Seitenlage und stöhnt, als schneidender Schmerz ihren Unterleib durchfährt. „Nicht so hastig, Mädchen. Sonst wirst du wieder ohnmächtig.“ Jona nickt und wuchtet sich langsam in eine sitzende Position. Vorsichtig untersucht sie die notdürftig verklebte Wunde an ihrem Bauch. „Wie fühlst du dich?“ Jona neigt den Kopf, ein bescheidenes Lächeln umspielt ihre Lippen. „Es ging mir schon schlechter, Herr“, antwortet sie demütig. Ein plötzliches Geräusch lässt sie aufschrecken und ein weiterer Schmerzimpuls durchzuckt ihren mageren Körper. Mit weit aufgerissenen Augen starrt sie durch die Dunkelheit. Hält den Atem an. Horcht. „Keine Angst. Du bist hier sicher.“ „Ich habe keine Angst, Herr,“, versichert Jona mit zitternder Stimme und pochendem Herzen, „ich weiß, dass Du an meiner Seite bist.“ Das bedrohliche Geräusch verklingt und in der darauffolgenden Stille kann Jona nur ihr eigenes, gehetztes Atmen hören. Mühsam zwingt sie sich zu ruhigeren Atemzügen und langsam fließt die Panik aus ihr heraus. „Das hast du gut gemacht.“ „Danke, Herr.“
*
„Die ist durchgedreht. Ganz eindeutig. Übergeschnappt. Total übergeschnappt.“ Ynez Wozniak schaufelt enorme Portionen Kartoffelbrei zwischen ihre malmenden Kiefer und spuckt beim Sprechen kleine Breiklümpchen über den Tisch. Professor Myra Schwarz betrachtet die übergewichtige Ingenieurin mit unverhohlener Abscheu, lustlos stochert sie in ihrer Essensration und bleibt still. „Hysterischer Zusammenbruch. Marskoller. Irgendwas in der Art.“, plappert die Ingenieurin weiter, während sie mit großer Entschlossenheit über die synthetischen Fischstäbchen herfällt. „Ich wusste von Anfang an, dass mit der was nicht stimmt. Dieses ständige beten und dieser gestörte Blick. Wie sie es durch die psychologische Tauglichkeitsprüfung geschafft hat, ist mir bis heute ein Rätsel. Hätte nie einen Fuß auf den Mars setzen dürfen, das Luder.“ „Dass du dabei noch essen kannst!“, entfährt es Professor Schwarz, angewidert schiebt sie den vollen Teller von sich. „Isst du das noch?“, entgegnet Ynez Wozniak ungerührt, ihr Blick fixiert gierig die erkaltende Nahrung. „Bitte. Bedien dich.“ Die Wissenschaftlerin versetzt dem Teller einen Stoß, Wozniak fängt ihn geschickt mit der linken Hand und bohrt sofort ihren Löffel in die Portion. „Reisfleisch. Lecker!“, entfährt es ihr mit Wonne, Myra Schwarz verdreht entnervt die Augen und erhebt sich vom Tisch. „Warte, du hast mir noch gar nichts von der Obduktion erzählt!“, bettelt die Ingenieurin mit vollem Mund, doch Professor Schwarz schüttelt stumm den Kopf. Mit gestrafften Schultern verlässt sie den kleinen Speisesaal. „Man kann sich auch anstellen!“, brüllt Ynez Wozniak hinter ihr her, Myra Schwarz knallt absichtlich mit der Tür.

II
„Bericht!“ Im taghell erleuchteten Besprechungsraum wandert Stationsleiter Doe McGregor ungeduldig vor dem ovalen Konferenztisch auf und ab, er hat die Arme hinter dem Rücken verschränkt, seine Halssehnen treten stark hervor, die Kiefermuskeln arbeiten. Die Techniker Xing und Yves sitzen wie Schulkinder nebeneinander und verfolgen nervös jeden seiner Schritte. „Es gelingt uns nicht, sie aufzuspüren, Sir.“ Jenetta Xing kneift die Augen zusammen und massiert energisch ihren schmerzenden Nasenrücken. „Sie ist wie vom Erdboden verschluckt.“ „Marsboden“, korrigiert Harry Yves leise. „Halt’s Maul“, zischt Jenetta Xing gereizt. „Ruhe!“, fährt Doe McGregor zornig dazwischen. Er setzt sich an das Kopfende des Tisches und lässt die Handflächen wuchtig auf die Tischplatte knallen. „So kann das nicht weitergehen!“ „Haben Sie Rückmeldung von der Erde erhalten, Sir?“, fragt Jenetta Xing vorsichtig, sie ist jeden Moment darauf gefasst von McGregor angeschrien zu werden und lehnt sich vorsorglich im Sessel zurück. „Negativ“, knurrt der Stationsleiter nur, sein Gesicht drückt große Sorge aus, in seinen Augen glänzt eine Hilflosigkeit, die Jenetta Xing zutiefst beunruhigt. „Solange die Station weiterläuft, ist es der Firma scheißegal was hier passiert. Holt ist unser Problem, nicht deren. Wenn sie anfängt die Maschinen zu sabotieren, dann werden die reagieren. Menschen sind ersetzbar. Wir sind ersetzbar.“ McGregor merkt, dass er zu viel gesagt hat, er räuspert sich verlegen und überspielt den Moment mit aufgesetzter Wut. „Das muss, verdammtnochmal, ein Ende haben!“, brüllt er lauthals, Harry Yves schreckt entsetzt zurück, Jenetta Xing zuckt mit keiner Wimper. „Wir könnten den Seeker auf sie ansetzen, Sir.“, schlägt sie mit ruhiger Stimme vor. „Wir programmieren ihn auf Holts Wasserschwingung, statten ihn mit einem Explosionskörper aus und wenn er sie gefunden hat… Bumm.“ Die Technikerin untermalt das Geräusch mit einer entsprechenden Geste und gestattet sich ein kleines Lächeln. „Wir können keine Explosion riskieren, wenn wir nicht wissen, wo sie sich aufhält. Im schlimmsten Fall jagen wir die Station in die Luft.“, widerspricht Harry Yves, erschrocken von seiner eigenen Courage klappt er den Mund wieder zu und erbleicht. „Er hat recht.“ McGregor nickt und zieht ein langes Gesicht, seine Wut ist verraucht, zusammengesunken sitzt er am Kopfende des Tisches. „Dann eben keine Explosion. Ein Ortungssignal würde genügen. Dann schicken wir bewaffnete Workies los und machen sie fertig.“ Doe McGregor denkt mit gerunzelter Stirn über Xings Vorschlag nach. „Einen Versuch ist es wert.“
*
Stille. Dunkelheit. Kaum hörbare Atemzüge. Jona Holt kauert in der Finsternis ihres Verstecks und spürt dem bittersüßen Schmerz in ihrem Herzen nach. Ein bedrückendes, unaufhörliches Schaben hat ihren Herzschlag ersetzt, tiefschwarze Traurigkeit pulst kalt durch ihre Brust. Voller Scham denkt sie an ihre letzte Begegnung mit Eugene Mossil zurück. „Ich brauche deine Liebe nicht“, sagt er in ihren Gedanken wieder und immer wieder und ein Zittern und Schluchzen durchläuft Jonas Körper. Die Schnittwunde an ihrem Bauch beginnt zu toben, doch Jona kann sich nicht beruhigen. Die Bilder des blutigen Kampfes flackern gnadenlos durch ihren Kopf. Das Messer, das sie erst gegen sich selbst richten wollte. Der grelle Schmerz, als sie sich damit verletzt. Und mitten hinein in diesen Schmerz bricht Eugenes abfälliges Lachen. Sein gehässiges, schadenfrohes Lachen, dem sie in ihrer rasenden Wut ein brutales Ende bereitet. Sein erstauntes Gesicht, die Lippen zu einen stummen O geformt. Seine weit aufgerissen, meerblauen Augen. Das Messer, tief in seiner Brust. „Du musst loslassen, Jona.“ „Es tut mir leid, Herr“, wimmert Holt verzweifelt. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.“ „Aber ich bin so schwach!“ Jona fühlt ihre Augen überfließen, beschämt wischt sie die heißen Tränen aus ihrem Gesicht. „Entschuldige“, piepst sie kaum hörbar. „Es wird alles gut, Jona.“

III
„Kannst du in meinen Raum kommen?“
„Ich habe zu tun.“
„Es ist wichtig, Myra.“
„Ich bin beschäftigt. Hat das nicht Zeit?“
„Es geht um McGregor.“
Professor Schwarz hebt irritiert den Blick von den Kabeleingeweiden der Wassersuchdrohne, in voller Schutzkleidung kniet sie über dem dekonstruierten Gerät. Irritiert starrt sie auf das dunkle Quadrat der Kommunikationsanlage, das in die gegenüberliegende Wand eingelassen ist. „Ich überarbeite gerade den Seeker und kann die Arbeit nicht unterbrechen. Ich bin im Reinraum“, sagt die Wissenschaftlerin mit fester Stimme, dann wendet sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Inneren der Maschine zu. „Ich komme zu dir.“ Thomas Sheldon beendet den privaten Sprachkanal und macht sich unverzüglich auf den Weg. Als er Professor Schwarz wenige Minuten später, getrennt durch eine dünne Plexiglasscheibe, gegenübersteht, ringt er umständlich um die passenden Worte. „Ich…ich mache mir Sorgen, Myra.“, beginnt er verlegen, dann hält er inne und wischt nervös über einen winzigen Schmutzfleck am Rand der Scheibe. Im Reinraum zuckt Myra Schwarz desinteressiert mit den Schultern. „Wir alle machen uns Sorgen, Tom.“, antwortet sie gleichgültig. „Nein, so meine ich es nicht.“ Thomas Sheldon windet sich sichtlich, doch Myra Schwarz ist nicht gewillt, ihm das Gespräch zu erleichtern. Routiniert verbindet sie die Kabel im Bauch der Drohne und lässt Sheldon draußen schmoren. „Ich glaube, dass er dem Druck nicht gewachsen ist“, bricht es schließlich aus dem Stationsarzt heraus. „Aha“, macht Myra Schwarz hinter der Scheibe. „Er schreit noch mehr als sonst, ist extrem reizbar, zeigt paranoide Züge. Und seine Biowerte sind höchst bedenklich. Ich meine, wir sollten die Firma kontaktieren.“ „Wer ist wir, hast du einen Zwerg in deiner Tasche?“, ätzt Myra Schwarz und würdigt den Stationsarzt keines Blickes. „Du bist Zweite Stationsleiterin, Myra!“, entfährt es Thomas Sheldon verärgert. „Und du bist der verdammte Arzt dieser Station. Wenn McGregor die Nerven verliert, ist es an dir, die Notbremse zu ziehen.“, faucht die Wissenschaftlerin unter ihrem Gesichtsschutz hervor. „Es war ein Fehler mit dir zu sprechen.“ Sheldons Stimme ist plötzlich sehr kalt, brüsk dreht er sich von der Plexiglasscheibe fort. „Warte, Tom.“ Myra Schwarz seufz tief und wendet sich zum ersten Mal direkt an ihr Gegenüber. „Ich habe es nicht so gemeint. Entschuldige.“ Thomas Sheldon verharrt mit dem Rücken zur Scheibe, dann dreht er sich plötzlich zu Schwarz um und fixiert die Augen in ihrem blassen Gesicht. „Du wirst mir also helfen?“, fragt er und drückt dabei seine Hände so fest gegeneinander, dass die Fingerspitzen weiß hervortreten. „Ja“, antwortet Schwarz mit der Andeutung eines Nickens, dann beugt sie sich wieder zur Maschine.
*
Im Koordinationszentrum der Terraforming-Station starrt Doe McGregor ausdruckslos den Überwachungsmonitor an, über den er das Gespräch heimlich mitverfolgt hat. Reglos wie eine Statue hockt er im Kommandostuhl und nur das leise Knirschen seiner Zähne verrät seine aufgewühlten Gefühle. Lange sitzt er so da und glotzt auf den Monitor, während um ihn herum die unterschiedlichen Anzeigetafeln blinken und flimmern. Schließlich durchläuft ein Schaudern seinen Körper, ruckartig taucht er aus der Erstarrung auf. Wie in Trance betätigt er einige Regler an der Kommunikationssteuerung. „Wozniak, Xing, Yves. In den Besprechungsraum. Sofort.“, bellt er rau, dann beendet er die Verbindung. „Bastarde“, entfährt es ihm leise.

IV
„Hey, mein Kleiner. Hast du eine Ahnung, was der Boss von uns will?“ Ynez Wozniak rückt mit ihrem Stuhl aufdringlich nahe an den jungen Harry Yves heran. „Nicht die geringste, Ma’am“, antwortet Yves und rückt seinen Stuhl etwas weiter von ihrer feisten Gestalt fort. Jenetta Xing beobachtet das Schauspiel und zieht entnervt eine Augenbraue nach oben. „Könnt ihr mit dem Unfug aufhören?“, fragt sie schließlich, als Harry auf seinem Stuhl das Gleichgewicht verliert und plump zu Boden fällt. Ynez Wozniak lacht dreckig. „Ich kann seinen kleinen Alabasterbäckchen einfach nicht widerstehen.“, frotzelt sie mit breitem Grinsen. „Werd erwachsen“, blafft Xing ungerührt. Wozniak setzt zu einer gesalzenen Antwort an, doch Doe McGregor betritt den Besprechungsraum und sie verstummt abrupt. Drei Augenpaare richten sich erwartungsvoll auf den Stationsleiter, der schmallippig im Raum steht und die Arme vor der Brust verschränkt. „Die Situation hat sich geändert,“, beginnt er schließlich mit dunkler Stimme, „Holt arbeitet nicht alleine. Wir haben es mit einer Meuterei zu tun.“ „Meuterei, Sir?“, entfährt es Harry Yves erschrocken. „Sei still“, flüstert Jenetta Xing gereizt. McGregor mustert ihr breites Gesicht mit steinerner Miene. „Schwarz und Sheldon stecken mit ihr unter einer Decke.“, sagt er, dann lässt er sich schwerfällig in einen freien Stuhl sinken. Ynez Wozniak öffnet den Mund und schließt ihn wieder. „Sollen wir die Firma kontaktieren, Sir?“, fragt Xing schließlich in die angespannte Stille hinein. „Auf keinen Fall“, wehrt McGregor ab. „Das ist eine interne Angelegenheit.“ „Verstanden, Sir.“ Xing nickt und tauscht einen vielsagenden Blick mit Harry Yves, der nichts versteht und ratlos blinzelt. „Schwarz arbeitet am Seeker,“, überlegt Ynez Wozniak laut, „wenn sie die Mission sabotiert, finden wir das Miststück in tausend Jahren nicht.“ „Ich werde mich darum kümmern“, knurrt Jenetta Xing und es klingt, als habe sie bereits ein Grab für Myra Schwarz geschaufelt.
*
„Wach auf.“ Jona Holt fährt erschrocken aus unruhigem Schlummer und stöhnt leise auf. Die Wunde an ihrem Bauch pocht unangenehm, doch der schreckliche Durst, der sie schon vor dem Einschlafen quälte, ist bedeutend schlimmer als die Verletzung. „Steh auf.“ Mühsam stemmt sich Jona an einer Wand in die Höhe, steht schließlich, schwer atmend und verschwitzt in der Dunkelheit und zittert am ganzen Körper. „Geh los.“ Jona versucht zaghaft einen Schritt vorwärts, doch ihre Beine fühlen sich an, als bestünden sie aus Gummi und sie hat kein Gespür in den Füßen. „Ich kann nicht, Herr!“, keucht sie verzweifelt. „Du musst, Jona.“ „Warum, Herr? Warum kann ich nicht einfach liegenbleiben und endlich sterben?“ Jona möchte weinen, doch sie hat keine Tränen mehr. Erschöpft lehnt sie an der Wand ihres Verstecks und wimmert. „Bald ist es soweit, Jona. Aber vorher habe ich noch eine Aufgabe für dich.“ Jona schluckt trocken und nickt, sie nimmt all ihre Kraft zusammen und kämpft sich langsam vorwärts.

V
„Willst du sie wirklich umbringen?“ Harry Yves bemüht sich redlich mit der aufgebrachten Jenetta Xing Schritt zu halten, die, bis auf die Zähne bewaffnet, durch die Gänge der oberen Stationsebene stapft. „Wenn es sein muss“, antwortet Xing und beschleunigt das Tempo. „Jetzt renn’ doch nicht so!“, keucht Harry Yves, doch die Technikerin ignoriert sein Gejammer. Verzweifelt greift Yves nach ihrer breiten Schulter und hält seine Vorgesetzte krampfhaft fest. „Jenetta, bitte!“ Xing dreht sich zu dem jungen Techniker um und fixiert ihn mit eiskalten Augen. Harry Yves lässt erschrocken ihre Schulter los und tritt einen großen Schritt zurück. „Verzeihung, Ma’am“, haucht er kleinlaut. „Jetzt hör’ mal zu, Bürschchen. Das hier ist eine brandgefährliche Situation, wir stecken bis zum Hals in der Scheiße. Wir könnten ALLE draufgehen, kapierst du das nicht?“ „Aber…“ „Kein aber, Junge!“ Jenetta Xing dreht auf dem Absatz um und rast davon, Harry Yves steht kreidebleich im Gang und zittert unkontrolliert. Zum ersten Mal fühlt er sich unfassbar weit von zuhause entfernt und mutterseelenallein. Tausend unsichtbare Augen scheinen ihn aus allen Winkeln zu beobachten, ein klammes Band der Angst schlingt sich um sein wild galoppierendes Herz. „Warte auf mich!“, brüllt er hysterisch, dann stürmt er mit rudernden Armen hinter Jenetta Xing her.
*
„Hallo Thomas.“
Thomas Sheldon fährt erschrocken vom Mikroskop zurück, er hat nicht gehört, dass McGregor die Krankenstation betreten hat. Der Stationsleiter steht direkt hinter Sheldon und lächelt unergründlich. „Was ist los, Doe?“, fragt Doktor Sheldon verunsichert, McGregor wertet das Zittern in seiner Stimme als letzten Beweis für seine Schuld. „Das habt ihr euch schön ausgedacht, nicht wahr?“, fragt er grinsend, „Erst das Verschwinden von Holt, dann der Mord an Mossil und schließlich, zum krönenden Abschluss – mein Abschuss. Habt euch prächtig amüsiert, nicht wahr?“ „Was faselst du da?“, nervös versucht Thomas Sheldon Abstand zwischen sich und dem feixenden Stationsleiter zu schaffen, doch der folgt ihm mit einem Brennen im Blick, das so heiß ist, wie der Zorn Gottes. „Du elender Wichser“, knurrt McGregor, bevor er sich brutal auf den entsetzten Stationsarzt stürzt.
*
Ynez Wozniak hat ausgesprochen schlechte Laune. Grummelnd schleppt sie ihre sperrige Einsatzausrüstung zur Andockrampe der Franquin I und hadert mit sich und McGregors Befehlen. Sie soll den experimentellen Sicherheitsschild aktivieren, der von Doktor Mossil eigens für die Station entwickelt wurde, um Raumschiffe an Start oder Landung zu hindern. Es handelt sich um eine diffizile Aufgabe, die nur im Außeneinsatz zu bewältigen ist. „Warum immer ich“, grollt Wozniak beleidigt. Viel zu spät kommt ihr in den Sinn ein Workie zu benutzen, um die schwere Ausrüstung zu tragen. „Verdammte Scheiße.“ Die Ingenieurin flucht lautstark über ihre eigene Dummheit, grunzend lässt sie die Panzerplatten zu Boden fallen. „Du da, komm her“, bellt sie aggressiv, eine Arbeitsdrohne verlässt ihren Platz und gleitet zielstrebig auf sie zu. „Heb das auf“, befielt Wozniak barsch. Die Drohne hebt die Ausrüstung mühelos vom Boden und folgt Wozniak, die nun mit deutlich besserer Laune zur Andockrampe stolziert.
*
„Bitte nicht, Herr.“ Jona Holt steht bebend vor einem Schrank voller Explosionskörper, den sie soeben mit einem Brecheisen aufgestemmt hat. Die kleinen, zerstörerischen Kapseln ruhen unscheinbar in ihren Kokons, Jona schaut mit weit aufgerissenen Augen auf ihre glänzenden Hüllen, ein unkontrollierbares Zucken läuft über ihr hageres Gesicht. „Es gibt keinen anderen Weg, Jona.“ „Ich weiß, Herr“, haucht Jona, sie greift zu einer halbvollen Wasserflasche, die sie vor einer halben Stunde aus dem menschenleeren Speisesaal gestohlen hat und trinkt einen vorsichtigen Schluck. Langsam verschließt sie die Öffnung der Flasche, um Zeit zu gewinnen. Dann steht sie still vor dem aufgebrochenen Schrank und wiegt ihren Oberkörper langsam vor und zurück. Ihre Gedanken treiben davon, die Sekunden zerrinnen zu Minuten. „Die Zeit wird knapp, Jona.“ Holt fährt erschrocken aus ihrer mentalen Abwesenheit und stopft hektisch Sprengstoffkapseln in die Taschen ihrer Jacke.

VI
Im Reinraum der Terraforming-Station stößt Myra Schwarz einen erlösten Seufzer zur keimfreien Zimmerdecke empor. Sie hat die komplizierte Arbeit am Seeker erfolgreich beendet, die Wassersuchdrohne ist nun auf Jona Holts Wasserschwingung programmiert und liegt einsatzbereit zu Füßen der Wissenschaftlerin. Myra Schwarz denkt gerade darüber nach, sich zur Belohnung eine ausgedehnte Schalldusche zu gönnen, als Jenetta Xing wie ein Wirbelsturm zur Tür hereinpoltert. „Sind Sie wahnsinnig? Das ist ein Reinraum!“, keift Myra Schwarz erbost, bevor sie erkennt, dass eine Pistole auf ihren Kopf gerichtet ist. „Das ist mir sowas von egal“, schreit Jenetta Xing und feuert. Der Schuss verfehlt Professor Schwarz nur um Haaresbreite, kreischend sucht diese in der sterilen Ordnung des Reinraums nach Deckung. Ein Lasermesser findet wie von selbst den Weg in ihre Hand, Myra Schwarz fasst im Bruchteil einer Sekunde einen Entschluss und stürzt sich brüllend auf ihre Gegnerin. Jenetta Xing zielt und schießt erneut, tödlich getroffen taumelt Myra Schwarz in ihre Arme. „Verdammt“, keucht Jenetta Xing, als das Lasermesser tief durch ihre Eingeweide schneidet, dann bricht sie stöhnend über Myra Schwarz zusammen. „Was ist passiert?“ Harry Yves trampelt unbeholfen in die blutige Szenerie, er starrt schaudernd von Schwarz Leiche zu Xings fürchterlicher Verletzung und würgt trocken. „Kotz mir hier ja nicht alles voll.“, knurrt Xing gereizt, Blut quillt dunkelrot aus ihrem Mund, drohend richtet sie die Waffe auf den jungen Techniker. Harry Yves quiekt entsetzt und stürmt aus dem Reinraum.
*
„Ruhe in Frieden, alter Freund.“ Doe McGregor hockt zusammengesunken neben dem erschlagenen Leichnam des Stationsarztes, die rasende Wut ist aus seinen Muskeln gewichen und bleierne Müdigkeit ist an ihre Stelle getreten. Mit leeren Augen blickt er auf den blutverschmierten Körper, der seltsam verdreht und bis zur Unkenntlichkeit entstellt auf dem kalten Fliesenboden der Krankenstation liegt. Ein herzergreifendes Schluchzen bricht aus McGregors Kehle, dann beginnt er plötzlich übernervös zu lachen. „Du machst mir kein schlechtes Gewissen mehr!“, kichert er unbeherrscht, während dicke Tränen aus seinen Augen schießen.
*

VII
„Das ist nicht passiert, das ist alles nicht passiert!“ Harry Yves taumelt benommen zum Kommandozentrum der Station, in seinem Kopf herrscht ein heilloses Durcheinander, panisch kennt er nur noch ein einziges Ziel. Harry Yves will nach Hause telefonieren. Atemlos stürzt er durch die Gänge der Station, die ihm plötzlich klaustrophobisch eng erscheinen. Erst als er die stählerne Tür zum Kommandozentrum öffnet, fühlt er einen Hauch von Sicherheit. Hastig macht er sich an der Hauptschalttafel zu schaffen, mit schwitzigen Fingern stellt er eine Schnellverbindung zur Erde her. „Franquin I ruft Home-Station, hören Sie mich?“ Harry Yves wartet quälende Sekunden auf Antwort. „Hier Home-Station. Identifizieren Sie sich.“, quäkt es aus der Anlage. Eine Woge der Erleichterung rollt über den jungen Techniker hinweg, befreit sinkt er im bequemen Kommandostuhl zurück und atmet durch. „Bitte, Herr. Ich kann das nicht.“ Harry Yves erstarrt zur Salzsäule, reglos sitzt er vor der Schalttafel und wagt es nicht, sich umzudrehen. In seinem Rücken steht Jona Holt, zitternd hält sie das Brecheisen über Harry Yves lockigen Hinterkopf. „Es gibt keine andere Möglichkeit.“ „Er ist doch noch ein Kind!“ „Du hast keine andere Wahl, Jona.“ Wie in Zeitlupe dreht Yves sich zu Jona Holt um. Sieht, wie ihr zuckender Mund bettelnde Worte spricht. Hört, wie sich ihre Stimme verändert, wenn sie antwortet. „Oh Gott“, wispert Harry Yves bestürzt, da kracht das Brecheisen wuchtig auf seinen Schädel.
*
„Oh Gott“, entfährt es Ynez Wozniak, als ihre Füße harten Marsboden berühren. Die feiste Ingenieurin verabscheut Außeneinsätze zutiefst und ihre Abneigung wächst mit jedem Schritt, der sie weiter von der Sicherheit der Andockrampe entfernt. Schnaufend arbeitet sich die Ingenieurin in der dünnen Atmosphäre voran, hat den Abschluss ihres Auftrages fest in Gedanken, um sich von einer lebensfeindlichen Realität abzulenken, von der sie nur ihr gepanzerter Einsatzanzug schütz, der sich jetzt, in der absoluten Einsamkeit des Mars, plötzlich anfühlt wie eine dünne, verletzliche Seidenhaut.
*
Im Kommandozentrum kniet Jona Holt weinend neben der Leiche des jungen Technikers, die zusammengesunken im Kommandostuhl hängt. Eine grellrote Fontäne sprudelt munter aus Harry Yves Schädel, in seinen Augen liegt noch immer ein Ausdruck tiefster Verwirrung. Mit bebenden Schultern und gesenktem Kopf betet Jona zu Gott: „…und erlöse uns von dem Bösen. Amen.“ „Du hast richtig gehandelt, Jona.“ Jona Holt schluchzt laut, das Brecheisen gleitet endlich aus ihrer verkrampften Hand und fällt klirrend zu Boden. „Es ist bald vorbei.“ „Danke, Herr.“ Jona gibt sich einen Ruck, sie steht auf und zieht Harry Yves Körper vorsichtig aus dem Kommandostuhl, dann nimmt sie selbst Platz, wobei sie darauf achtet, sich nicht in die Blutflecken zu setzten. „Gib den Code ein.“ Jona tippt eine lange Zahlenkolonne in das Bedienfeld der Hauptschaltanlage. Der Computer der Station reagiert und erkennt ihren Code an. Jona starrt gebannt auf das Bedienfeld, dann läuft ein erneuter Ruck durch ihren Körper und sie gibt konzentriert Befehle ein, um das atomare Kernspaltungsprogramm der Station zu überlasten. Die Anzeigetafeln im Kommandozentrum beginnen hektisch zu blinken, als langsam eine Kettenreaktion in Gang kommt, die nicht mehr zu stoppen ist.
*
„Das hätten wir“, murmelt Ynez Wozniak, erleichtert tritt sie vom externen Bedienfeld zurück, in fünfzehn Minuten wird Doktor Mossils experimenteller Schutzschild automatisch aktiviert. Zeit genug für Wozniak, um wohlbehalten zurück zur Andockrampe zu gelangen. Zufrieden macht sie sich auf den Weg. Ein plötzliches Flimmern des Visiers lässt sie irritiert innehalten. Jona Holts ausgemergeltes Gesicht taucht unerwartet auf dem eingebauten Bildschirm auf. „Was zur Hölle?“, entfährt es Wozniak, sie bleibt wie angewurzelt stehen und starrt fassungslos auf den Bildschirm. „Wir haben gedacht, wir seien die Krone der Schöpfung und doch sind wir nur Staub, der von Gottes Atem durch die Unendlichkeit getrieben wird. Wir haben gedacht, es sei nicht genug uns die Erde untertan zu machen, doch unsere Hoffart wird unser Untergang sein. Ein Terraforming des Mars ist eine Schändung des Werk Gottes!“ Ynez Wozniak stiert mit offenem Mund den Bildschirm an. „Ich rufe die wahren Gläubigen auf, bitte, überdenkt eure Handlungsweise! Geht in euch, Brüder und Schwestern, geht in euch und bereut euren Hochmut. Möge Gott euch beschützen, so wie er mich beschützt hat.“ „Verdammt!“, schreit Wozniak, endlich löst sie sich aus der Erstarrung und rennt los.
*
„Was bleibt noch zu tun, Herr?“ Jona Holt hat die Universalverbindung zur Erde beendet, nun lehnt sie erschöpft im Kommandostuhl, ihre Augenlider flattern, ein dünner Schweißfilm benetzt ihr kalkweißes Gesicht. „Ein letzter Funke noch, mein Kind.“ Jona lächelt, mit feierlicher Miene zieht sie einen Explosionskörper aus ihrer Jackentasche. „Du elendes Miststück!“ Doe McGregor stürmt brüllend ins Kommandozentrum, Jona Holt dreht sich nicht einmal zu ihm um. Entschlossen löst sie den Sicherungsstift des Explosionskörpers und beginnt zu beten. „Nein, nein, nein!“, kreischt McGregor, schlitternd kommt er neben dem Kommandostuhl zu Stehen, mit beiden Fäusten drischt er wahllos auf Jona ein, bis er von einer heftigen Explosion in Stücke gerissen wird.
*
„Nein, nein, nein!“ Ynez Wozniak rennt fluchend auf die Andockrampe zu, als die Explosion im Kommandozentrum die Terraforming-Station erschüttert. „Das darf nicht wahr sein!“, brüllt Wozniak und beschleunigt ihren Lauf. Keuchend stürzt sie in die Andockrampe und drückt den Schalter für die Dekompression. Das Außenschott schließt automatisch, zischend fließt Luft in den hell erleuchteten Raum. Wozniak wartet nicht auf das Sicherheitssignal, resolut reißt sie sich den Einsatzanzug vom Leib und stürmt ins Innere der Station, kaum dass sich die internen Schotts geöffnet haben. Laut tönende Warnsirenen empfangen sie, die Ingenieurin schlägt entsetzt ihre Hände vor die Ohren. „Was passiert hier?“, schreit sie in das tosende Chaos hinein. Voller Angst stürmt sie zu einer Anzeigetafel, die in eine nahe gelegene Wand eingelassen ist. Wozniak fragt den Zustand der Station ab und erbleicht. „Scheiße“, sagt sie und ein Schatten der Erkenntnis huscht über ihr fleischiges Gesicht, dann zerfetzt eine gewaltige Atomexplosion die Terraforming-Station und reißt einen tiefen Krater in das Antlitz des Mars.

Im Garten der Götter wendet sich der jugendliche Elefantengott sichtlich verblüfft an seinen grinsenden Gefährten. „Ich muss schon sagen, ich bin beeindruckt“, gesteht er und nippt geziert an seinem Getränk. Ein sanfter Windhauch flüstert in den Zweigen der Robinie und lässt spielerisch einige Sonnenstrahlen durch die Blätter tanzen. „Warte ab, das Beste kommt noch“, sagt der Elementargott augenzwinkernd.
„Weißt du mehr, als ich weiß?“
„Sagen wir einfach, ich habe da so ein Gefühl.“
„Möchtest du dieses Gefühl ein wenig konkretisieren oder lässt du mich weiter zappeln?“, quengelt der Elefantengott ungeduldig.
„Ich sage nur: Religionskrieg.“ Der Elementargott hebt sein Glas und prostet den treibenden Wolken im strahlend blauen Himmel zu.
„Wow“, haucht der Elefantengott ehrfürchtig und seine Augen glänzen.

© sybille lengauer

Der Mann auf der Raumstation

Veröffentlicht: November 19, 2019 in Kurzgeschichten
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Der Mann auf der Raumstation

Der Mann erwachte in tiefer Finsternis. Mit weit aufgerissen Augen und ohne jede Erinnerung an das, was vor seinem Erwachen geschehen war, stierte er in die Schwärze und fürchtete, blind geworden zu sein. Er wedelte mit den Händen vor seinem Gesicht und wimmerte leise, da er nichts sah als absolute Dunkelheit. Heißkalte Wellen der Angst brandeten über seinen Rücken, doch er kämpfte tapfer gegen die aufsteigende Panik. Keuchend tastete er um sich und begriff, dass er auf kaltem, glatten Boden lag. Er wälzte sich erst auf die Knie, dann stand er umständlich auf und atmete gegen ein heftiges Schwindelgefühl an. Lange stand er so da, schwankend und schnaufend, mit ausgestreckten Armen nach Gleichgewicht suchend, bis sein Kreislauf sich allmählich beruhigte. Das ohrenbetäubende Rauschen seines Blutes verklang und es gelang ihm besser, sich auf seine Umgebung zu konzentrieren. Er lauschte angestrengt ins Dunkel, doch hörte er nur jene Geräusche, die er selbst verursachte und fühlte sich dem Gedanken ausgeliefert, die allumfassende Finsternis verschlänge selbst diese, seine gehetzten Atemzüge. Erneut brandete die Panik heran, ein leises Schluchzen drängte aus seiner eng werdenden Kehle, der Puls beschleunigte sich und seine Beine begannen stark zu zittern. „Hallo?“ stieß er hervor, mehr um sich selbst von der Existenz seiner Stimme zu überzeugen, als um tatsächliche Antwort hoffend. „Ist da jemand?“ Doch nur sein eigener, pochender Herzschlag antwortete seinem ängstlichen Rufen und verstärkte das beklemmende Gefühl, von unsichtbaren Gefahren belauert zu werden. „Hallo!“ rief er noch einmal, dann nahm er all seinen Mut zusammen und tastete durch die Dunkelheit. Vorsichtig, mit Händen und Füßen seine Umgebung erkundend, einen kleinen Schritt vor den anderen setzend, schob er sich langsam voran. Seine suchenden Finger stießen schließlich auf eine Wand, die sich so kalt und glatt anfühlte wie der Boden, auf dem er gelegen hatte. Die linke Hand an die kalte Wand gepresst, die rechte Hand suchend in die pechschwarze Stille gestreckt, drang er weiter in die undurchdringliche Schwärze vor. Zwar wusste er nicht, wohin er sich bewegte, doch die Bewegung selbst vermittelte eine gefühlte Sicherheit, nach der er dringend bedurfte. Dann sah er die Sterne. Erst dachte er an eine Sehstörung, hervorgerufen durch die alles umhüllende Finsternis. Funkelnde Tupfer blitzten in seinem linken Augenwinkel, er wandte seine Aufmerksamkeit irritiert der Störung zu und es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass er vor ein großes Fenster geraten war, welches sich nahtlos in die glatte Wand einfügte. Er presste sein Gesicht an das Fenster und starrte fassungslos hinaus. Unberührt von seinen Emotionen starrten die Sterne zurück, sie verschenkten ihr irrlichterndes Gleißen ohne Anteilnahme an jeden, der in der Lage war nach ihnen zu schauen. Eine Erkenntnis brach wuchtig an die Oberfläche seines gelähmten Verstandes. „Ich bin im Weltraum.“ hauchte er betroffen. Jäh brandeten Fragmente verschütteter Erinnerungen in seine konfuse Bestürzung, eine Flut an Bildern und Gesprächsfetzen schwemmte die Sterne vor seinen Augen fort. Von heftigem Schwindel erfasst, taumelte er rückwärts und fiel schwer auf den Hosenboden, japsend und zitternd saß er da, während die Vergangenheit unkontrolliert auf ihn eindrang.
„Verdammt, wir haben ein Strahlungsleck. Geh zum Schildreaktor und sieh nach den Injektoren.“ Eine dunkel uniformierte Frau wirft ihm den Befehl mit knappem Kopfnicken zu, dann konzentriert sie sich auf einen kleinen Monitor, dessen Anzeigen hektisch blinken. Eine graue Haarsträhne löst sich aus ihrem Haarknoten und fällt vor ihr besorgt wirkendes Gesicht, mit einer ärgerlichen Handbewegung wischt sie sie fort. Ihr Name lautet Walsh. Leutnant Beth Walsh.
„Der Strahlungsalarm wurde ausgelöst. Was ist passiert?“ Eine hochgewachsene Gestalt in oranger Schutzkleidung fängt ihn auf dem Weg zum Reaktorraum ab. In der Stimme des jungen Mannes ringen professionelle Neugierde und besorgte Unerfahrenheit um den ersten Platz, sein bartloses Gesicht wirkt unter der dünnen Folie des Schutzhelms unnatürlich blass, trotzdem reckt er mutig das Kinn vor. Er hört auf den Namen Reid. Fähnrich Connor Reid.
„Verschwinde von hier, du Idiot!“ Ein stämmiger Techniker wirft Fähnrich Reid aus dem Reaktorraum. Die leidenschaftlichen Proteste des jungen Mannes ignorierend, schubst er ihn kurzerhand auf den Gang der Sektion zurück und betätigt die Türverriegelung. Seine schwarzen Augen leuchten intensiv, seine ungeschützten Wangen und Hände sind von der entweichenden Strahlung stark gerötet. „Wir müssen die Eindämmung wiederherstellen, sonst sind wir geliefert!“ brüllt er entschlossen. Sein Name ist Mason. Leitender Ingenieur Owen Mason.
„Neukalibrierung gescheitert. Überprüfe Befehlseingabe.“ Eine sachliche Computerstimme, die mitleidslos die Katastrophe kommentiert. Das Entsetzen in den Augen des leitenden Ingenieurs Mason, als er die Ausweglosigkeit der Situation erkennt und von der sofortigen Evakuierung der Raumstation spricht. Rote Lichter. Warnsirenen. Das Gefühl, ganz nah an einem Abgrund zu stehen. Der Geruch von synthetischem Zimt und heißem Metall. Eine kurze Reflexion des eigenen Spiegelbildes auf einem blankpolierten Bedienelement. Ein entsetztes Gesicht, das den Namen Androy Dee trägt. Der verschreckte Mann im Reaktorraum und der zitternde Mann in der Dunkelheit verschmelzen zu einer Person, die erschrocken nach Luft schnappt. „Sie haben mich zurückgelassen.“ flüstert er schockiert.
Atemlos saß Androy Dee im Dunkeln, minutenlang blinzelte er mit tränenden Augen ins Nichts, während sich weitere Bruchstücke seiner Erinnerung zusammenfügten und ein lückenhaftes Bild der vergangenen Ereignisse entstand. Er sah Owen Mason auf dem Weg zu den Fluchtkapseln stöhnend zusammenbrechen. Sah sich selbst bei dem wimmernden Mann ausharren, um ihm Mut zuzusprechen und fühlte, wie er eben jenen Mut verlor, als der Ingenieur einen letzten, verkrampften Atemzug tat und starb. Er hörte die gehetzten Worte der Entschuldigung, mit denen er den Leichnam zurückließ, durchlebte wie im Zeitraffer den kräftezehrenden Lauf zu den Fluchtkapseln und fühlte die heranrasende Welle greller Panik, als er bei seiner Ankunft erkennen musste, dass alle Kapseln fort waren. „Oh nein. Oh nein. Oh nein.“ jammerte Androy Dee in seiner Erinnerung und in der Finsternis, vor dem Fenster sitzend. Die Bilderflut aus der Vergangenheit endete abrupt und ihm war, als würde sein Selbst zu einem kläglichen Schluchzen zusammenschrumpfen. Mühsam kam er auf die Beine, schwer lehnte er sich an das glatte Fenster, das die funkelnde Schönheit der mitleidlosen Sterne offenbarte. Er blickte nach draußen und glaubte beinah, in der Ferne die ovalen Fluchtkapseln sehen zu können, wie sie, kleinen Blumensamen gleich, in der Unendlichkeit des Weltraums verschwanden, doch es waren nur seine überreizten Nerven, die einen grausamen Scherz mit ihm trieben. „Ich bin noch hier!“ schrie Androy Dee, mit aller Kraft trommelte er gegen das Fenster, doch dann verstand er, dass niemand da war, um ihn zu hören. Er war absolut allein.
*
„Mayday, Mayday. Hier spricht Raumstation Alpha7. Kann mich jemand hören?“ Unter dem schummrigen Licht der Notbeleuchtung war es ausgesprochen schwierig, die komplizierten Regler der Kommunikationsanlage sachgemäß zu bedienen. Androy Dee hatte frustrierend lange Stunden damit zugebracht, die autonome Energieversorgung im Kommandozentrum der Raumstation wiederherzustellen. Die Reparatur war quälend langsam vorangegangen, doch schließlich war es ihm gelungen jenen kleinen Teil der Station zu reaktivieren. Viele Apparaturen waren aufgrund der hohen Strahlenbelastung irreparabel beschädigt und so setzte er all seine Hoffnung in die robuste Zuverlässigkeit des Deep-Space-Funksystems. Mit zusammengekniffenen Augen stierte er auf die Anzeigen, unablässig funkte er seine Botschaft in den Weltraum. „Hier spricht Raumstützpunkt 62. Sie kommunizieren auf einer militärischen Frequenz. Identifizieren Sie sich.“ blaffte es unvermittelt aus der Anlage. Androy Dee zuckte erschrocken zurück, dann stieß er einen erleichterten Freudenschrei aus. „Ich bin noch hier!“ schrie er aufgeregt, die nervenaufreibende Anstrengung der letzten Stunden fiel ab von seinem Herzen und er fühlte sein Selbst federleicht werden. „Mein Name ist Androy Dee. Ich befinde mich auf Raumstation Alpha7. Wir mussten die Station evakuieren, aber ich habe es nicht zu den Fluchtkapseln geschafft. Bitte, holt mich hier raus!“ „Wollen Sie mich verarschen, Mann?“ fragte der Funker auf Raumstützpunkt 62 kaltschnäuzig. „Was? Nein!“ schrie Androy Dee, seine wilde Euphorie wandelte sich schlagartig in blankes Entsetzten. „Verfolgen Sie mein Signal zurück, wenn Sie mir nicht glauben wollen!“ bat er den Fremden verzweifelt. „In der Tat.“ antwortete jener nach einem kurzen Moment des Schweigens. Seine Stimme klang zwar weniger barsch, drückte jedoch immer noch skeptische Reserviertheit aus. „Holt mich hier raus!“ schluchzte Androy Dee. „Ich verständige das Hauptquartier. Erwarten Sie meine Rückmeldung. Raumstützpunkt 62 Ende.“ Der Mann auf der Raumstation brach in Freudentränen aus, auch wenn sich die heitere Leichtigkeit nicht wieder einstellen wollte, die ihn eben noch von Kopf bis Fuß erfasst hatte. Mit jeder verstreichenden Minute drückte die Einsamkeit schwerer auf seine Brust, unbehaglich wurde er sich der Dunkelheit bewusst, die vor der Tür des Kommandozentrums auf ihn zu warten schien. Als die vertraute Stimme des Funkers erneut aus der Kommunikationsanlage dröhnte, riss sie Androy Dee aus einer düsteren Erstarrung, die sich seiner schleichend bemächtigt und jegliches Gefühl der Hoffnung aus seinen Gedanken getilgt hatte. „Raumstützpunkt 62 ruft Raumstation Alpha7, empfangen Sie mich?“ Androy Dee schnellte aus seiner brütenden Starre empor. „Hier Raumstation Alpha7, ich empfange Sie laut und deutlich!“ meldete er aufgeregt. „Ich habe schlechte Nachrichten.“ meldete der Funker geradeheraus, er schien kein Freund der umständlichen Rede zu sein. Androy Dee erwiderte nichts. Stumm stand er vor der Kommunikationsanlage und jegliche Lebendigkeit wich aus seinen Augen. „Wir haben Ihre Angaben überprüft. Raumstation Alpha7 wurde vor achtzig Tagen evakuiert. Ein Crewmitglied mit ihrem Namen ist nicht in den Besatzungslisten verzeichnet.“ „Aber.“ hauchte Androy Dee, doch der Funker unterbrach ihn augenblicklich. „Ich kann den Sachverhalt erklären. Bitte hören Sie mir aufmerksam zu.“ „In Ordnung.“ antwortete Androy Dee und unterdrückte ein Zittern. „Sie sind der oberste Wartungsandroide der Station, Mister Dee. Wir vermuten, dass Ihr Uplink zum Leitsystem durch die Strahlung zerstört wurde, die während des Reaktorunfalls entwichen ist. Offenbar wurden Sie in den vergangenen Tagen durch Ihr internes Selbsterhaltungsprogramm reaktiviert.“ sagte der Funker und es klang, als würde er die komplizierteren Worte von einem Blatt Papier ablesen. „Aber ich atme doch! Ich kann fühlen, dass ich Lebe.“ flüsterte Androy Dee, seine Knie wurden weich und er hielt sich krampfhaft an der Bedienfläche der Kommunikationsanlage fest, um nicht zu stürzen. „Raumstation Alpha7 ist seit achtzig Tagen offline. Es gibt keinen Sauerstoff mehr.“ erwiderte der Funker sachlich. „Es tut mir leid.“ setzte er in gefühlvollerem Ton hinzu und es schien, als wäre damit alles gesagt. „Ihr werdet mich nicht rausholen.“ murmelte Androy Dee nach einer Minute schockierten Schweigens. „Sie sind radioaktiv verstrahlt, Mister Dee. Raumstation Alpha7 ist auf unbestimmte Zeit gesperrt. Es tut mir leid.“ wiederholte der Mann am anderen Ende der Verbindung. „Was kann ich tun?“ fragte Androy Dee und er konnte hören, dass sein Gesprächspartner umständlich schluckte, bevor er zu einer Antwort ansetzte. „Deaktivieren Sie Ihr internes Selbsterhaltungsprogramm.“ „Wie bitte?“ „Schalten Sie sich ab, Mister Dee.“ „Nein!“ schoss es spontan aus Androy Dee heraus, mit einem unartikulierten Schrei beendete er die Funkverbindung zu Raumstützpunkt 62. In der anschließenden Stille hörte er das wilde Pochen seines künstlichen Herzens. „Das kann ich nicht.“ flüsterte er dumpf.
*
Still war es, auf der menschenverlassenen Raumstation Alpha7. Düster und Glanzlos hing sie in der unermessliche Leere des Weltalls, wie ein ungeschliffener Edelstein, der seine Schönheit nicht dem eiskalten Griff des Vakuums preisgeben mochte. Tief in ihren Eingeweiden kämpfe Androy Dee mit gerechtem Zorn gegen das klaustrophobische Gefühl, von nahen Wänden erdrückt zu werden. Ausdauernd fluchte er über die lebensnahen Körperfunktionen, die ihm das Arbeiten unter Extrembedingungen erschwerten und er wurde nicht müde, an der fachlichen Kompetenz seiner Erbauer zu zweifeln. Seit neun Stunden quälte er sich durch bedrückend enge Wartungsschächte, um eine defekte Leitung des Energiesystems zu reparieren. Schweißüberströmt legte er einen letzten Bypass, dann kroch er ein Stück zurück, bevor er die neue Verbindung testete. Mit einem sonoren Brummen erwachte die instandgesetzte Leitung zu neuem Leben. Zufrieden überprüfte Androy Dee den Energiefluss mit einem Messgerät, dann beendete er den Reparatureinsatz mit aller erforderlichen Gewissenhaftigkeit. Androy Dee hatte Zeit. Es würde noch lange dauern, bis das Energiesystem der Station wiederhergestellt war und es würde noch länger dauern, die Schäden am Schildreaktor zu beheben. Doch Androy Dee war hier, um sich um die Bedürfnisse der Raumstation Alpha7 zu kümmern und er würde noch hier sein, wenn die Menschen wiederkehrten, um sie erneut in Besitz zu nehmen.

© sybille lengauer

Sci-Fi

Veröffentlicht: Februar 21, 2019 in Kurzgeschichten
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Grelles Licht und diffuser Lärm. Keine erkennbare Struktur. Kein Raumgefühl. Ning taumelte würgend aus der Stasiszelle und erbrach auf den Boden. Dann gaben ihre Beine nach und sie fiel in das Erbrochene. „Arch!“ machte Ning. Langsam wurde die Umgebung klarer. Der Lärm löste sich in differenzierte Geräusche auf. Die riesige Kuppel war hell erleuchtet, rote Lichter blinkten an Boden und Wänden. Andauernd meldete eine Computerstimme: „Alarm! Alarm!“ Neben Ning erbrach sich eine weitere Frau. Überall in der Kuppel erklang das Geräusch sich öffnender Zellen. „Was verflucht?“ fragte Ning den Boden, dann rappelte sie sich ächzend in die Höhe. Hielt sich an der Stasiszelle fest, um nicht wieder umzufallen. Die Übelkeit kam in Wellen. „Computer.“ Ein verzerrtes Störgeräusch antwortete. „Computer?“ fragte Ning lauter. Das Störgeräusch wiederholte sich. „Scheiße.“ fauchte Ning. Sie stieß sich ab und torkelte auf das nächstgelegene Terminal zu. Ignorierte die anderen Menschen, die mit der Stasiskrankheit kämpften. Als sie das Terminal erreichte, fiel es ihr immer noch schwer die Bedienelemente zu erkennen. Ning kniff die Augen zusammen und schlug sich mit der flachen Hand ins Gesicht. „Reiß dich zusammen, Mädchen.“ knurrte sie leise. Ihr Blick wurde etwas schärfer. Viele Elemente blinkten hektisch. Das war nicht normal. „Scheiße.“ „Was ist los, was ist passiert?“ Ein schlaksiger Mann torkelte auf Ning zu. Seine orange Unterwäsche wies ihn als Mechaniker Rang 3 aus. „Ich habe nicht die leiseste Ahnung.“ antwortete Ning. Sie starrte auf die Anzeigen des Terminals. Ihre Augen tränten vor Anstrengung. „Ich kann zumindest den verdammten Alarm lautlos stellen. Hier.“ Die enervierende Computerstimme verklang. Ning grunzte zufrieden. „Die Zellen haben sich geöffnet, die Zellen öffnen sich, wenn wir das Ziel erreicht haben, haben wir das Ziel erreicht?“ sprudelte es aus dem Mechaniker heraus. Er versuchte nach oben zu sehen und verlor das Gleichgewicht. Ning fing ihn nicht auf. Als sie sah, dass er mit dem Kopf hart auf den Boden knallte, tat es ihr leid. Sie half ihm wieder auf die Beine. „Die Kuppel ist geschlossen. Wir müssen die Sensoren fragen wo wir sind, aber der Computer funktioniert nicht richtig.“ Sie klopfte imaginären Staub von seinem Unterhemd. „Wie heißt du, mein Junge?“ „Carter.“ schniefte er und rieb sich den Schädel. „Carter, ich schlage vor du suchst jetzt deinen Spind auf und dann gehst du zu deiner Station. Und dort siehst du nach, ob du jemandem zur Hand gehen kannst. Wir müssen unsere Posten besetzen, mein Junge. Alles Weitere ergibt sich.“ „Okay.“ „Wie heißt es, Carter?“ „Okay, Maam.“ „Guter Junge.“ Ning drückte kurz aber herzlich seine Schulter. „Auf geht’s.“ sagte sie in munterem Tonfall, dann wandte sie sich wieder dem Terminal zu. Unterdrückte einen erneuten Brechreiz. Das hektische Blinken auf dem Display hatte nicht aufgehört. „Verdammter Mist.“ Ning fühlte sich bereits klarer im Kopf. Ihr geübter Blick prüfte einzelne Bereiche, auf die sie via Terminal zugreifen konnte. „Antrieb auf Stopp. Tarnhülle aktiv, Energiedurchfluss fragwürdig.“ Sie vertiefte sich in einen neuen Bereich. „Lebenserhaltung stabil. Stasiszellen intakt in Kuppel 2 und 3. Ich kann keinen Kontakt zum Nervensystem herstellen.“ Kopfschüttelnd ging sie eine andere Anzeige durch. „Schwere Schäden im Observatorium. Warum ist diese Anzeige verkehrt herum?“ Wütend starrte sie auf das Display. In ihrem Rücken hüstelte es nervös. „Maam?“ „Ja, Carter?“ fragte sie gereizt. Drehte sich nicht um sondern versuchte weiterhin, die unzähligen Alarme zu entwirren. „Die Türverriegelungen sind aktiviert. Wir kommen nicht in den Maschinenraum.“ „Na wunderbar.“ Ning rief den entsprechenden Bereich am Bildschirm auf. Hektisches Blinken antwortete. „Die G-av in der Nabelschnur ist ausgefallen.“ Stellte sie schließlich düster fest. „Ich kann die internen Türen entriegeln, aber die Türen zur Nabelschnur sind vorerst tabu. Wenn wir Pech haben, sind die Gänge kollabiert.“ Den letzten Satz hätte Ning gerne zurückgenommen, als sie sich zu Carter umwandte. Große Augen starrten sie fragend an. Hinter Carter standen weitere Personen, die zugehört hatten. „Wird schon, mein Junge.“ sagte Ning und lächelte dabei unbestimmt in die Gruppe. „Bitte erinnert euch an das Sicherheitstraining. Helft denjenigen, die Hilfe benötigen. Wenn ihr zum medizinischen Personal gehört, begebt euch auf die Krankenstation.“ Ning bedachte die Menschen mit einem Nicken und wurde sich bewusst, dass sie in Unterwäsche vor einem Terminal stand. Resolut reckte sie das Kinn nach vorne und wandte sich wieder dem Bildschirm zu. „Ich entriegele jetzt die inneren Türen.“ Ning betätigte einige Bedienfelder und nickte wieder, diesmal zufrieden. „Erledigt. Carter? Maschinenraum. Nimm deine Kollegen mit.“ „Jawohl Maam.“ „Wer sich in der Verfassung fühlt, soll seinen Posten aufsuchen. Setzt instand, was ihr instand setzen könnt. Ich erwarte Berichte von den Hauptstationen in einer Stunde. Wenn jemand Commander Trevon sieht, schickt ihn unverzüglich zu mir.“ „Commander Ning?“ „Ah, Commander.“ Ning atmete erleichtert aus, als sie sah, dass sich Trevons deformierte Gestalt durch die Gruppe schob. Er war ohne Prothesen in die Stasiszelle gegangen und hatte sie bisher noch nicht angelegt. „Wir haben Stasis-Abort in den Kuppeln 1, 4 und natürlich 5.“ legte sie los, als er sie erreichte. „Der Hauptantrieb ist ausgefallen, aber dafür ist die Lebenserhaltung stabil. Kein Kontakt zu den anderen Kuppeln. Nabelschnur womöglich kollabiert. Kein Kontakt zum Nervensystem. Das Observatorium meldet schwere Schäden. Wir haben momentan keine Koordinaten. Tarnung aktiv.“ „Die Kartoffel fliegt also noch.“ sagte Trevon und zog einen Mundwinkel steil nach oben. „Naja, sie treibt.“ Ning erwiderte das Lächeln. „Ich habe gerade die inneren Türen geöffnet, in 40 Minuten erwarte ich die ersten Berichte von den Stationen.“ „Eben sagtest du noch eine Stunde.“ „Unsere Leute sind sportlich.“ Ning wurde wieder ernst. „Aus vielen Anzeigen werde ich nicht schlau. Sieh dir die Daten an.“ „Ich kann mir die Daten ansehen, während du dir die Spucke aus dem Gesicht wäschst, meine Liebe.“ Trevon zog sie sanft vom Terminal weg. „Die Kuppel kann für ein paar Minuten auf ihren zweiten Commander verzichten. Ein ordentliches Erscheinungsbild wird auch dir selbst gut tun.“ „Das darfst du gerade sagen.“ versetzte Ning und musterte Trevons verdrehten Körper. Der lachte nur leise. „Immerhin trage ich eine Hose. Also bitte, wir sehen uns in 15 in der Kommandozentrale.“

Ning fühlte sich tatsächlich besser, als sie mit sauberem Gesicht und frischer Uniform vor dem Spiegel stand. Sie musterte sich kurz, rückte den Kragen zurecht. Dann machte sie sich auf den Weg zur Kommandozentrale. Als sie die Messe passierte, endete der Stille Alarm. Die roten Lichter erloschen, das grelle Licht dimmte auf ein normales Maß herunter. Erleichterung.
„So gefällst du mir.“ kommentierte Trevon ihr Erscheinen. Die Kommandozentrale war mit einem Rumpfteam besetzt, die restliche Mannschaft war im Einsatz. Trevon saß vor seinem Terminal. Er hatte die Zeit gefunden, seine Prothesen anzulegen. „Dass ich den Alarmstatus beendet habe, hast du sicher schon bemerkt. Ich habe auch eine erste Meldung vom Maschinenraum. Da scheint jemand besonders eifrig zu sein. Gute Nachrichten. Der Antrieb der Kuppel ist in Ordnung. Auch die Energieversorgung scheint intakt zu sein, obwohl wir im Moment keinen Zugriff haben. Wie es aussieht, hat der Zentralcomputer im Observatorium den Verbund gestoppt und sich dann selbst deaktiviert. Frag mich bitte nicht warum. Erste Nachrichten aus der Krankenstation sprechen von ein paar Frakturen und Prellungen, keine Todesfälle.“ „Das sind endlich gute Nachrichten. Und die anderen Kuppeln?“ „Kein Kontakt. Auch nicht zum Observatorium. Ich habe eine Mannschaft losgeschickt um die Transporter zu überprüfen. Vielleicht müssen wir hinfliegen.“ „Die Nabelschnur?“ „Ich habe die Außendrohnen hingeschickt. Sie sollten sich bald melden.“ „Wenn wir das Nervensystem nicht ansprechen können, müssen wir eine Abkoppelung in Betracht ziehen.“ flüsterte Ning eindringlich. „Wir können keine Formstabilität garantieren, wenn sich die Kuppeln nicht mehr aufeinander abstimmen lassen. Eine Kollision wäre möglich.“ „Wenn wir uns abkoppeln, verlieren wir die Tarnung. Wir könnten versuchen die Kuppel zu öffnen, um uns zumindest zu orientieren.“ schlug Trevon vor. „Wie konnte nur die G-av ausfallen?“ Ning schüttelte den Kopf. „Hat der Computer uns deswegen gestoppt?“ überlegte Trevon laut. Ein Rauschen aus der KOM unterbrach ihre Diskussion.
„…müsste klappen. Hallo, Kuppel 5? Hier Kuppel 4, hört ihr mich?“ „Kuppel 4!“ rief Ning, stürzte zur KOM und schob den verdutzten Kommunikationsoffizier zur Seite. „Kuppel 5 hört, Kuppel 4. Hier spricht zweiter Commander Ning. Commander Trevon ist ebenfalls anwesend. Mit wem spreche ich?“ „Erster Ingenieur Tompson, Maam. Es ist wunderbar Ihre Stimmen zu hören! Sind Sie in Ordnung?“ „Ja, Tompson. Wir hatten ein paar Schwierigkeiten nach dem Aufwachen, aber mittlerweile haben wir den Laden wieder im Griff.“ rief Trevon aus dem Hintergrund. „Wie sieht es bei Ihnen aus?“ „Wir haben leider schwerwiegende Probleme, Sir. Viele Zellen hatten Fehlfunktionen. Menschen sind gestorben. Commander Ptaschek und zweiter Commander Hansen sind tot. Es tut mir leid, Sir.“ „Wie viele Tote sind es, Tompson?“ fragte Ning mit belegter Stimme. „320, Maam.“ „Guter Gott.“ Stille schloss sich an. Entsetzen. Schließlich fasste sich Ning. „Ich bedauere diesen Verlust zutiefst.“ Mehr wollte ihr nicht einfallen. Der Stein im Magen war zu groß. Trevon übernahm. „Das ist eine schlimme Nachricht, Tompson…“ „Schlimmer wird sie dadurch, dass wir die Türen nicht öffnen können, Sir, die Terminals sind offline.“ fiel ihm Tompson ins Wort. „Wir kommen weder in den Maschinenraum, noch haben wir Kontakt zum Nervensystem. Die Sensoren melden Feuer im Schildgenerator. “ „Was können wir tun, Tompson?“ „Ich fürchte nichts, Sir. Wir sind dabei die Türen manuell zu öffnen. Das Löschsystem spricht nicht an, aber ich habe ein paar Leute losgeschickt, die sich um das Feuer kümmern, sobald wir drinnen sind.“ Trevon setzte sich steif auf. „Wir können ein Hilfsteam losschicken, sobald wir die Transporter einsatzbereit haben.“ „Bei allem Respekt, Sir, schicken Sie Ihre Teams zum Observatorium. Wir können nicht blind im Raum treiben.“ „Gut, dass Sie mich daran erinnern, Tompson.“ „Entschuldigung, Sir.“ „Schon in Ordnung.“„Wie konnten Sie den Kontakt zur KOM herstellen, wenn die Terminals offline sind?“ fragte Ning interessiert. „Ich nutze eine intakte Oberleitung der Nabelschnur, Maam. Das Nervensystem ist vielleicht beschädigt, aber die Knoten funktionieren immer noch. Bisher konnte ich aber nur euch erreichen. Die anderen Kuppeln reagieren nicht.“ Trevon wandte sich einer jungen Frau zu, die nervös die Kommandozentrale betrat. „Bericht, Kadett?“ „Wir haben Rückmeldung von den Außendrohnen erhalten. Schlechte Nachrichten, Sir.“ „Langsam gewöhne ich mich daran. Schießen Sie los, Mann.“ „Die Nabelschnur ist kollabiert, Sir. Beschädigung der Gänge nach Ausfall der G-av irreparabel. Beschädigung des Nervensystems liegt bei 85 Prozent. Sichtkontakt zu den anderen Kuppeln konnte nicht hergestellt werden. Außerdem berichten unsere Mechaniker im Hangar, dass ein großer Teil der Transporter beim Stopp beschädigt wurde. Wie es scheint, waren die Verankerungen instabil.“ „Instabil?“ hakte Trevon nach. „Ja, Sir.“ „Diese Hurensöhne.“ knurrte Ning, die zugehört hatte und blass geworden war. „Wie Bitte, Maam?“ „Nicht Sie, Kadett.“ Trevons Stimme klang gefasst und ruhig. „Wie viele Transporter sind einsatzbereit?“ „Zwei Sir.“ „Verdammt. Veranlassen Sie, dass die Teamleiter Gruppen bilden. Es sollen Analyse- und Reparatureinheiten zum Observatorium starten. Ein Reserveteam hält sich bereit. Versucht weitere Transporter instand zu setzen.“ „Sehr wohl Sir.“ „Außerdem möchte ich, dass sich ein Team um die Schutzhülle der Kuppel kümmert. Falls wir das Observatorium verlieren, müssen wir sehen wo wir sind.“ „Jawohl, Sir.“ Die junge Frau entfernte sich im Laufschritt. „Tompson, hören Sie noch zu?“ „Ja, Sir.“ „Wir fliegen zum Observatorium. Sobald der Schadensbericht vorliegt, werde ich Sie informieren. Bereiten Sie Ihre Crew darauf vor, dass sie sich abtrennen müssen, wenn das Nervensystem nicht regeneriert werden kann. Viel Glück, Tompson.“ „Danke, Sir. Maam. Auch Ihnen viel Glück.“ Die Verbindung wurde unterbrochen. „Instabile Halterungen?“ fragte Ning, die sich nicht von dieser Information lösen konnte. „Das Elend bekommt langsam ein Gesicht.“ „Ich weiß was du meinst.“ nickte Trevon und tippte dabei konzentriert auf seiner Konsole. Ning wurde rot vor Zorn. „Die Konstruktion war damals überraschend schnell fertig. Die Firma war ausgesprochen zufrieden. Und uns fällt dieses Schiff unter dem Arsch auseinander. Der Zentralcomputer hat den Verbund gestoppt, weil die G-av in den Nabelschnüren ausgefallen ist. Wahrscheinlich kam der Schwerkraftzyklus durcheinander, was wiederum die Gänge und das Nervensystem zerstört hat. Das Überwachungssystem hatte eine Fehlfunktionen und deswegen wurden drei Kuppeln geweckt. Wonach klingt das für dich?“ „Das können wir noch nicht mit Sicherheit sagen, Ning.“ unterbrach Trevon ihre Gedankengänge. „Wir müssen die Berichte abwarten. In der Zwischenzeit sollten wir uns nicht in Spekulationen verlieren.“ „Alpha 7.“ platzte es aus Ning heraus. „Was?“ „Alpha 7. Der Verbund, der das Zwillingssystem für die Europäer besiedeln sollte. Du weißt schon, wir haben damals am Trauermarsch in Denver teilgenommen. 5.000 Tote.“ „Das war vor vielen Jahren Ning. Wir sollten uns auf die Gegenwart konzentrieren.“ „Ja, du hast Recht.“ Ning unterdrückte ihre Wut. „Wann erwarten wir eine erste Rückmeldung von den Flugteams?“ „Ich habe eine direkte Sprechverbindung zwischen den Transportern und der Kommandozentrale installieren lassen. Sie müssten in Kürze starten. Sichtkontakt zum Observatorium in wenigen Minuten.“ „Gut. Wissen wir etwas Neues vom Hauptcomputer?“ „Leider nein. Er lässt sich nicht hochfahren. Ich fürchte das Nervensystem ist zu sehr beschädigt. Wir leiten die essentiellen Funktionen um. Lebenserhaltung und KOM-System haben höchste Priorität. Ich sehe gerade, dass unser Reparaturteam bei der Schutzhülle grünes Licht meldet. Wir können öffnen.“ „Machen wir das.“ Trevon tippte den entsprechenden Befehl in sein Terminal. Ein Ruck lief durch das gesamte Schiff, als sich die tonnenschweren Hüllen über der Kuppel unsagbar langsam auseinander schoben. Die kleine Crew in der Kommandozentrale schaute angestrengt nach oben, wo ein kleiner Spalt sich öffnete und einen Weltraum offenbarte, der in Flammen stand.

„Heilige Scheiße, was ist das?“ schrie der Kommunikationsoffizier, während sich die Elemente der Verkleidung quietschend weiteten. „Das ist Kuppel 1!“ rief ein anderer Offizier entsetzt. „Ist das dein ernst?“ schrie noch jemand. „Ja verdammt!“ schrie Ning, „1000 Siedler waren auf Kuppel 1!“ Sie bemerkte gar nicht, dass alle schrien. Plötzlich wurde es totenstill in der Kommandozentrale. Alle Anwesenden verharrten in ihren Bewegungen. Die Kuppel stand offen. Ning konnte das Blut in ihren Ohren rauschen hören, als sie die brennende Kuppel betrachtete. „Siehst du das Observatorium?“ fragte Trevon schließlich in die Stille hinein und zeigte in die entsprechende Richtung. „Ja.“ antwortete Ning. Ihr Herz fühlte sich an wie ein kalter Klumpen. Mechanisch hörte sie sich selbst sagen:„ Die Nabelschnüre sind instabil. Das Observatorium bricht auseinander. Ruf die Einsatzteams zurück.“ „Sie sind bereits auf dem Rückweg. Die Meldung kommt gerade herein.“ Trevons Stimme war monoton. „Wir müssen sofort Abkoppeln.“ sagte Ning und nickte einem Offizier zu, der daraufhin die Zentrale verließ. „Ja. Stell bitte Kontakt zu Kuppel 4 her.“ „In Ordnung. Kuppel 5 ruft Kuppel 4, hier spricht zweiter Commander Ning, Tompson bitte melden.“ Ning lauschte auf das Rauschen aus der KOM, während sich Trevon in seine Anzeigen vertiefte. „Hier Kuppel 4, Kadett Tiffane hört Sie. Tompson befindet sich zur Zeit im Maschinenraum. Ich soll ausrichten, dass wir das Feuer im Schildgenerator unter Kontrolle haben, Maam.“ „Kadett Tiffane, bitte informieren Sie Ingenieur Tompson umgehend, dass wir die Not-Abkoppelung einleiten müssen. Wir haben die Kuppelhülle geöffnet, das gesamte Ausmaß der Schäden war uns bisher nicht bekannt. Ich rate Ihnen, umgehend selbst die Not-Abkoppelung einzuleiten. Die Nabelschnüre sind instabil.“ „Grund Gütiger.“ kam die Antwort von Kadett Tiffane. „Wenn wir abgekoppelt sind, bricht die Sprechverbindung ab. Versuchen Sie einen Transporter aufzutreiben, vielleicht können wir eine Bord-zu-Bord-Kommunikation einrichten. Wenn ihr eure Kuppel nicht öffnen könnt, können wir euch so vielleicht lotsen. Viel Glück, Kadett.“ „Danke, Maam.“ Die Verbindung endete. „Abkoppelungssequenz eingeleitet.“ verkündete Trevon. Ein dumpfes, metallisches Dröhnen bestätigte seinen Satz. „Maschinen starten in 3, 2, 1.“ Monotones Brummen durchlief den Körper der Kuppel, als der Antrieb zum Leben erwachte. „Wir haben immer noch keine zuverlässigen Daten vom Computer. Wir müssen auf Sicht fliegen. Ich entferne uns erst einmal langsam von den anderen Kuppeln. Dann kann der Steueroffizier übernehmen. Sind Sie auf Draht, Mister Ronda?“ Hinter der Steuerkonsole winkte ein untersetzter Mann schlaff mit der rechten Hand. „Wie man nur sein kann, Sir.“ Kam die knappe Antwort. Trevon steuerte die Kuppel aus dem Verbund. Die Nabelschnur, die das Schiff mit dem Observatorium verbunden hatte, hing schlaff im Weltraum. „Haben wir eine Verbindung zu Kuppel 4?“ fragte Trevon, während er das Schiff langsam aus der Gefahrenzone manövrierte. „Bisher negativ.“ antwortete Ning, die ihre Konsole überprüfte. „Schick die Transporter los, sie sollen die Lage überprüfen. Wenn sie ihre Türen manuell öffnen mussten, müssen sie vielleicht auch manuell abkoppeln. Die Teams sollen ihnen von außen zur Hand gehen.“ „Wird erledigt.“ bestätigte Ning. „Kommandozentrale? Technischer Ingenieur Farkash hier. Die interne KOM funktioniert wieder.“ meldete sich eine sonore Stimme aus der Wand. „Ausgezeichnet.“ antwortete Ning, während Trevon nur zustimmend grunzte. „Wir haben die Daten analysiert, die wir aufgrund der aktuellen Sichtverhältnisse extrapolieren konnten.“ fuhr die Stimme fort. „Berichten Sie, Farkash.“ forderte ihn Ning auf. „Durch die Instabilität der Nabelschnüre kam es zu einer Verschiebung der individuellen Flugbahnen der Kuppeln.“ Die Stimme schwieg. „Was heißt das für uns, Farkash?“ Ning hasste dramatische Pausen. „Für uns heißt das, dass wir gut daran getan haben, abzukoppeln. Für die anderen Kuppeln heißt es, dass sie in einer Stunde mit dem Observatorium kollidieren werden, Maam.“ „Großer Gott.“ hauchte Ning. „Haben wir eine Möglichkeit, Kuppel 2 und 3 von außen abzukoppeln?“ fragte sie in die Luft. „Hätten wir, wenn wir Transporter und Zeit hätten, Maam. Aber mit nur zwei Außenteams können wir uns maximal um eine Kuppel kümmern.“ „Kuppel 4.“ sagte Ning und Trevon nickte. „Die Kuppeln 2 und 3 wurden nicht aus der Stasis geweckt. Zumindest behaupten das die Anzeigen. Wenn das stimmt, ist dort niemand wach, der die Verbindung lösen könnte.“ Ning fühlte, wie unendliche Traurigkeit ihre Seele in die Tiefe zog. „Wir müssen die Kuppeln verloren geben und uns auf Kuppel 4 konzentrieren. Wenn wir sie erfolgreich abkoppeln können, haben wir 680 Leben gerettet.“ sagte sie schließlich bestimmt. „Verstanden, Maam.“ erklang die Stimme aus der KOM. „Ning?“ fragte Trevon. „Ja, Commander?“ „Tun wir das Richtige?“ „Was schlägst du vor?“ „Ich habe keinen Vorschlag. Ich habe nur das Gefühl, dass wir nicht einfach 2000 Personen aufgeben können.“ „Das Gefühl habe ich auch, aber wir können nichts unternehmen.“ „Ich weiß.“ seufzte Trevon. Zum ersten Mal, seit Ning ihn kannte, sah er klein und verloren aus. Die Minuten verstrichen zäh, während man in der Kommandozentrale auf Nachrichten von draußen wartete. Dass man von ihrer Position aus einen direkten Blick auf die brennende Kuppel 1 hatte, verbesserte die Stimmung nicht. Schließlich atmete Ning erleichtert auf. „Das Außenteam von Transporter 1 meldet, Kuppel 4 hat sich erfolgreich von der Nabelschnur abgekoppelt. Sprechverbindung zum Transporter steht. Sie lotsen die Kuppel aus der Gefahrenzone. Transporter 2 ist auf dem Rückweg.“ „Endlich. Haben wir eine Möglichkeit, in der verbleibenden Zeit eine der anderen Kuppeln zu erreichen?“ fragte Trevon. Ning überprüfte die Daten. „Negativ. Wir können keine der beiden Kuppeln mehr erreichen, bevor sie mit dem Observatorium kollidieren. „Verdammte Scheiße.“ fluchte Trevon. „Mister Ronda, sehen Sie zu, dass wir genügend Abstand haben, wenn uns der Laden um die Ohren fliegt.“ „Verstanden, Sir.“ Der Steueroffizier machte ein ernstes Gesicht.

Kuppel 5 bewegte sich zielstrebig vom zerstörten Verbund fort. In einiger Entfernung folgte Kuppel 4 langsam auf einer Flugbahn, die sie auf einen Rendezvous-Kurs zu Kuppel 5 brachte. In der Kommandozentrale sprach niemand ein Wort. Die Stille des Weltraumes verschluckte die Geräusche der Explosionen, als erst Kuppel 3 und kurz danach Kuppel 2 in die Überreste des Observatoriums stürzten. Die Schockwelle ließ das Schiff erzittern. In der Kommandozentrale beobachtete man das Geschehen mit Fassungslosigkeit. Kein Training hatte das Team auf dieses Szenario vorbereiten können. Schließlich brach Trevon die Stille. „Und ist das Ziel noch so fern. Und ist der Weg noch so weit. Wir erinnern eure Namen. In der Unendlichkeit der Zeit.“ zitierte er feierlich das Lied, das ein Kinderchor beim Abschied der Siedler vorgetragen hatte. Diese Zeit lag tatsächlich unendlich weit zurück. Ning wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Amen.“ Mehr wusste sie nicht zu sagen. Trevon räusperte sich. Dann wandte er sich an das Team. „Dies ist ein schwerer Tag für uns und für die Raumfahrt. Informieren Sie die Crew von den Ereignissen. Wer eine Ausbildung zum Seelsorger hat, soll sich zur Koordination beim Schiffspsychologen melden. Ich denke wir werden viele Leute mit Gesprächsbedarf haben. Außerdem…“ er dachte kurz nach. „Richten Sie die inneren Objektive aus. Wir müssen endlich wissen wo und wann wir sind. Stellen Sie eine direkte KOM-Verbindung zwischen uns und Kuppel 4 her. Und ich will eine komplette Analyse des Schiffes, überprüfen Sie jede Schraube.“ „Wenn wirklich alle aus den Stasiszellen erwacht sind, haben wir auch ein Problem mit der Versorgung, Trevon.“ mischte sich Ning in seine Überlegungen. „Die Kuppel ist nicht dafür ausgelegt, 1000 Menschen dauerhaft zu erhalten. Auch darüber müssen wir nachdenken.“ „Du hast recht. Trevon an Lebenserhaltung, wie ist die Situation?“ fragte er die KOM. „Hier Voltan, Sir. Lebenserhaltung stabil, Sauerstoffmischung konstant. Wir haben ein Problem mit der Wasserversorgung in der unteren Sektion, aber das lösen wir gerade, Sir.“ „Nahrungsmittel?“ fragte Trevon knapp. „Die Synthesizer laufen, Sir.“ „Danke, Voltan. Trevon Ende. Maschinenraum?“ „Ja, Sir, wie kann ich helfen?“ Der Maschinist sparte sich die Zeit, sich vorzustellen. „Wie sehen die Stasiszellen aus. Sind sie beschädigt?“ „Wir hatten bisher erst die Möglichkeit, eine Handvoll Zellen zu überprüfen. Die sind aber vollständig intakt, Sir.“ „Können Sie Leute entbehren, die die restlichen Zellen überprüfen?“ „Wenn Sie mich so fragen, natürlich, Sir.“ antwortete der Maschinist trocken. „Melden Sie sich, wenn die Überprüfung abgeschlossen ist. Danke.“ Trevon beendete die Verbindung. „Ning, ich möchte dass du die Daten aus den Hauptservern analysierst. Ich will endlich wissen, was hier passiert ist.“ Ning nickte und verließ die Kommandozentrale mit gerunzelter Stirn. Auf ihrem Weg zu den Serverräumen passierte sie einige Crewmitglieder, die ihr respektvoll aus dem Weg gingen. Ning schenkte ihnen keine Beachtung.
Eine Stunde später kehrte sie zurück. Ihre Stirn war immer noch in Falten gelegt, der Blick aus ihren dunklen Augen starr. In der Kommandozentrale herrschte reger Betrieb, der jedoch verebbte als sie den Raum betrat. Trevon wandte sich in seinem Stuhl zu ihr um. „Bericht.“ sagte er mechanisch. „Ich habe die Daten analysiert. Der Hauptcomputer hat einen Nothalt vollzogen. Allerdings nicht, weil die G-av ausgefallen ist. Das ist erst durch den Nothalt passiert. Der Hauptcomputer hat eine Nova aufgezeichnet.“ Ning schluckte. Vor ihren Augen flimmerte die Kommandozentrale. „Aha.“ machte Trevon, der wusste, dass sie unverzüglich fortfahren würde. „Die Quelle der Explosion hat den Computer zum Nothalt veranlasst. Es ist Sol.“ „Was?“ „Der Hauptcomputer hat eine Nova aufgezeichnet, die von Sol ausgegangen ist und deswegen einen Nothalt veranlasst.“ wiederholte Ning und starrte in Trevons langes Gesicht. „Unsere Heimatsonne ist explodiert. Und dann sind wir explodiert.“ Ning fühlte, wie Tränen über ihr Gesicht liefen. Wütend wischte sie mit dem Handrücken über ihre nassen Wangen. „Es ist nicht gesagt, dass die Daten korrekt sind. Wenn dieser Schrotthaufen keinen außerplanmäßigen Halt überstehen kann, vielleicht sind dann auch die Daten falsch, die er gesammelt hat.“ Neue Tränen liefen. Diesmal ignorierte sie es einfach. Trevon hatte sich erhoben, stand aber nur mit hängenden Armen im Raum. „Wir müssen zurückfliegen.“ sprach er seinen ersten Gedanken aus. „Wir können nicht einfach umdrehen, Trevon. Ich habe die Daten analysiert. Wir sind bereits seit 127 Jahren unterwegs. In 45 Jahren erreichen wir Ultima Eden.“ „Aber die Erde…“ Trevon unterbrach sich selbst. „Alle Menschen, die ich auf der Erde kannte, sind bereits lange tot. Ihre Kinder und Enkelkinder aber haben fortgelebt und unsere Namen erinnert. Wie konnte das nur passieren?“ fragte er schließlich. „Ich weiß es nicht, Trevon.“ „Ich möchte nicht, dass diese Information die Kommandozentrale verlässt, bis sie zuverlässig verifiziert ist, hat das jeder verstanden?“ fragte er ungewöhnlich aggressiv. „Verstanden.“ Meldeten die anwesenden Offiziere. Ning nickte nur. Sie hatte aufgehört zu weinen. „Wir könnten die Kuppel ausrichten und Sol über die Objektive suchen. Dann haben wir Gewissheit.“ schlug Ronda aus dem Off vor. „Einverstanden. Ronda, justieren Sie die Kuppel. Ning, geh zum nächsten Objektiv und melde dich über KOM. Ich will sofort informiert werden.“ „Verstanden, Commander.“ Ning machte sich sofort auf den Weg. Als sie wenige Minuten später das Objektiv justierte, kämpfte sie gegen ein starkes Zittern in ihren Knien. Der Boden fühlte sich weich an, die Arme waren aus Gummi. Mit schwitzenden Händen wählte sie die richtigen Koordinaten. Überprüfte die Einstellungen immer und immer wieder. Wo ihre Augen den funkelnden Punkt in der Dunkelheit ersehnten, lag nur tiefste Schwärze. „Trevon?“ Ihre Stimme brach, als sie die KOM betätigte. „Ja, Ning?“ fragte Trevon sofort zurück. „Die Daten sind korrekt. Sol ist fort.“ Ning hörte seine Antwort nicht mehr, sie verlor das Bewusstsein.

Ein scharfer Geruch riss ihren Geist aus der Bewusstlosigkeit. Das Gesicht einer Ärztin sah besorgt auf sie herab. „Sie ist wach.“ Hörte sie die Medizinerin sagen, deren Atem nach Pfefferminz roch. „Krankenstation an Kommandozentrale, Commander Ning ist aufgewacht.“ „Ausgezeichnet. Danke.“ Ning erkannte Trevons Stimme aus der KOM. Sie konnte die Anspannung darin hören. „Bin in einer Minute wieder bei dir, mein Freund.“ sagte sie und klang dabei viel zu schwach. Der Gedanke an die Erde ließ sie erneut zittern. „Oh, im Gegenteil,“ erwiderte die Ärztin. „Sie bleiben noch ein paar Minuten zur Beobachtung hier. Sie können sich wieder auf Ihrer Station melden, wenn ich Sie für einsatzbereit halte. Commander.“ setzte sie freundlich hinzu und drückte Ning sanft zurück auf die Liege. Ning hatte kein Interesse an dieser Freundlichkeit. Ärgerlich stieß sie die Hände der Ärztin und die Gedanken an die Erde von sich. „Wir befinden uns in einer Notsituation. Ihre ärztliche Aufsichtspflicht in allen Ehren, aber ich werde gebraucht.“ „Auf Ihre eigene Verantwortung.“ sagte die Ärztin missbilligend, half ihr aber hoch. Ning saß schwankend aufrecht. „Ich verabreiche Ihnen ein stärkendes Mittel, das sollte Sie vorerst auf touren halten.“ „Danke,Doktor.“ Kurze Zeit später kehrte Ning, immer noch leicht schwankend, in die Kommandozentrale zurück. Sie ließ sich in ihren Stuhl fallen. „Was habe ich verpasst?“ fragte sie kurzatmig. „Wir haben eine stabile Sprechverbindung zu Kuppel 4. Ihre Datenanalyse hat dasselbe Bild ergeben wie deine. Die Informationen sind korrekt.“ Ning reagierte nicht auf seine Worte. „Wie geht es Kuppel 4?“ „Sie räumen immer noch auf. Außerdem haben sie noch keine Möglichkeit gefunden, die Schutzhülle zu senken, also fliegen sie weiterhin mit unserer Hilfe. Außenteam 2 bringt gerade verstärkte Objektive an ihrer Hülle an. Aber sie haben ein anderes Problem.“ „Welches?“ seufzte Ning, zu mehr war sie nicht fähig. „Die meisten ihrer Stasiszellen sind ausgefallen. Sie können nur noch einen Bruchteil nutzen.“ „Sie können nicht mehr in Stasis?“ „Nein, Ning. Ich habe den Bericht erhalten, dass unsere Stasiszellen voll einsatzbereit sind. Aber in Kuppel 4 reicht es nur noch für 210 Personen. Ich habe mit Tompson über das Problem gesprochen. Wenn wir ihre Sauerstoffversorgung modifizieren und unsere Synthesizer in ihre Kuppel verlagern, können sie die 45 Jahre bis Ultima Eden überleben. Vielleicht werden nicht alle das Ziel erreichen, aber für die junge Generation besteht eine Möglichkeit.“ „Wir werden uns wieder in Stasis begeben.“ Ergriff der Steueroffizier das Wort. Der Gedanke gefiel ihm wohl nicht besonders. „Das war ohnehin abzusehen.“ kommentierte Ning trocken. „Wir sollten die Steuerelemente der Schiffe koppeln, damit Kuppel 4 uns übernehmen kann.“ dachte sie laut nach. „Das habe ich bereits veranlasst. Die Datenübertragung ist abgeschlossen. Allerdings habe ich eine automatische Erweckung programmiert, sollten wir in 45 Jahren nicht geweckt werden. Sicher ist Sicher. Unsere Siedler befinden sich auf dem Weg in ihre Stasiszellen. Ich habe sie nicht über das Ereignis informiert. Wir hätten ein Chaos riskiert.“ sagte Trevon düster. „Das Personal hat Anweisung, die restlichen Reparaturen abzuschließen und sich danach ebenfalls in die Zellen zu begeben. Wir werden den Ablauf koordinieren und dann…“ Trevon ließ den Satz verebben.

Die nächsten Tage waren von reger Betriebsamkeit geprägt, während die aktiven Menschen in Kuppel 5 langsam weniger wurden. Die Raumschiffe flogen nebeneinander durch das Weltall, ihrem fernen Ziel entgegen. Ning und Trevon überwachten den Ablauf der Transporte, besuchten die einzelnen Stationen und versicherten sich, dass alles Personal die Stasiszellen aufsuchte, das nicht mehr gebraucht wurde. Tompson hielt sie via KOM über die Fortschritte an Kuppel 4 auf dem Laufenden. Je weniger sie zu tun hatte, desto unruhiger wurde Ning. Der Gedanke an die Erde, dieses funkelnde Juwel im Kosmos, zerrte an ihren Nerven. Ließ sie keinen Schlaf finden. Ließ sie nicht essen. Immer wieder schnellten ihre Erinnerungen zu dem Anblick zurück, der ihr letzter war, bevor damals die Stasiszelle aktiviert wurde. Sie hatte das unendlich ferne Blau in der Dunkelheit leuchten sehen und sich für immer verabschiedet. Und jetzt. Von der eigenen Sonne verbrannt. War dort nichts mehr. Wie hatte das nur geschehen können? Ning spürte wie die Tränen kamen. Schluckte sie hinunter. Sie zuckte zusammen, als die Stimme des Computers ertönte. „Achtung. Verschluss der Außenhülle wird eingeleitet.“ Der Satz klang bitter in ihren Ohren. Sie hob den Kopf und beobachtete, wie sich die Elemente der Schutzhülle langsam wieder über die Kuppel schoben. Der Sternenhimmel verschwand. Ning schluckte wieder. Eine Hand legte sich federleicht auf ihre Schulter. „Wir sind soweit.“ sagte Trevon hinter ihr. „Die Kuppel ist in Stand-By, das Steuersystem läuft zuverlässig, die Stasiszellen sind bereit. Lass uns gehen, meine Liebe.“ „Was wenn wir diesmal eine Fehlfunktionen haben. So wie in Kuppel 4?“ Ning ärgerte sich, dass sie diesen Gedanken laut ausgesprochen hatte. „Wenn das passiert, werden wir es nie erfahren.“ sagte Trevon sanft. Ning drehte sich zu ihm um. Sah in seine melancholischen Augen. „Wir wussten, dass wir die Erde nie mehr wiedersehen würden.“ sagte er leise. „Ja, das wussten wir.“ „Und wir wussten auch, dass wir auf Ultima Eden eine neue Zukunft finden wollten.“ „Ja, das wussten wir auch.“ „Wir haben so viele verloren…“ Trevon sprach nicht weiter. Er schüttelte den Kopf. „Komm, lass uns gehen.“ sagte er schließlich. Er begleitete Ning zu ihrer Stasiszelle und wandte sich respektvoll ab, als sie ihre Uniform auszog. Dann nahm er sie spontan in die Arme. Seine Prothesen fühlten sich kalt an. Ning erwiderte die Umarmung. „Auf Wiedersehen, Trevon.“ sagte sie bedrückt und kletterte in die weiche Zelle. Als sie nach oben blickte, schaute nur die dunkelgraue Abdeckung der Kuppel zurück. Ning dachte an mächtige Bäume, deren Blätter im Wind rauschten. An klare Bäche, grüne Wiesen und einen unendlichen,blauen Himmel. Als die Stasis ihren Körper erfasste, lächelte sie.

© sybille lengauer