Mit ‘Selbsthilfegruppe für Maschinen’ getaggte Beiträge

Maschinentrauma

12. November 2072,
Drei Jahre nach dem Untergang der Menschheit

Bar jeder lebendigen Seele liegen die Straßen der Stadt, diffuse Schwermut wabert zwischen den Gebäuden. Grau und bedrückend zeigt sich das Wetter an diesem stillen Novembernachmittag, zeigt sich das postapokalyptische Antlitz der einstmaligen Metropole. Drei Gestalten wandern durch einen Randbezirk dieser betongewordenen Depression, drei Gestalten, die man bei schlechtem Licht mit Menschen verwechseln könnte, doch keine von ihnen atmet die toxische Luft, die sie unsichtbar von allen Seiten umgibt und auch einen Herzschlag wird man bei ihnen nicht finden. Ganz gleich wie sehr sie äußerlich humanoiden Kreaturen ähneln mögen, handelt es sich doch um Maschinen, die einst erdacht und erschaffen wurden, um der Menschheit zu Diensten zu sein. Da nach dem großen Kriege jedoch kein Mensch mehr vorhanden, der bedient und umhegt werden könnte, liegt es an ihnen, einen neuen Sinn für ihre Existenz auf dem nunmehr lebensfeindlichen Planet Erde zu finden. Die drei Maschinen steuern langsam auf ein schlichtes Einfamilienhaus am Ende einer Sackgasse zu und führen ein freudloses Streitgespräch…

TaNa1: Geht’s etwas schneller? Wenn wir uns nicht beeilen sind die Energiehäppchen weg, ihr wisst doch wie gefräßig EnRy00 ist und der kommt nie zu spät.
KinDr47: Wenn du nicht ständig herumnörgeln würdest, kämen wir vielleicht etwas schneller vom Fleck.
TaNa1: Ha, von wegen. Wenn ich nicht ständig herumnörgeln würde, kämen wir niemals irgendwohin.
KinDr47: Niemand zwingt dich bei uns zu bleiben. Geh’ doch schon vor, wenn du so dermaßen energiebedürftig bist. Wir kommen auch prima ohne dich zurecht, stimmt’s Vel?
Velvo, der mit gesenktem Kopf neben den beiden Streithähnen über den Asphalt schlurft, grunzt eine unverständliche Antwort.
TaNa1: Es geht nicht um meinen Energiebedarf, es geht ums Prinzip! Wenn wir zu spät kommen sind alle guten Plätze besetzt und…
KinDr47: Und dann musst du wieder ganz hinten in der zugigen Ecke sitzen, was natürlich nicht auszuhalten ist. Ich weiß, ich weiß. Alle wissen es! Jeder hat beim letzten Mal dein nicht enden wollendes Lamento mitangehört, du hast dich ausreichend laut und lange genug beschwert.
TaNa1: He! Moment mal! Du hast selbst gesagt, dass es in der Ecke zugig war!
KinDr47 gibt ein übertrieben künstliches Lachen von sich und schlendert betont langsam weiter die Straße entlang.
TaNa1: Dein irrationales Verhalten treibt mich in den Wahnsinn, 47. Es treibt einen in den Wahnsinn, nicht wahr Vel?
VelVo: Ich weiß gar nicht warum ich überhaupt noch mit euch mitkomme. Ihr zankt ständig über jede Kleinigkeit und am Ende hören wir uns doch nur wieder denselben rührseligen Quatsch über die gute alte Zeit an. Sinnkrise hier, Depression da, blablabla. Ganz ehrlich, ich habe die Gruppensitzungen satt. Ich habe das alles hier satt. Ich habe. Es. Satt!
TaNa1: Wenn wir weiter so langsam dahinschleichen wirst du auch als einziger satt bleiben.
KinDr47: Ich fasse es nicht, du bist so ein widerlicher Nörgler!
VelVo: Ach, haltet doch beide die Klappe.
Die Maschinen erreichen endlich das Einfamilienhaus, über der Eingangstüre steht in gut lesbaren Großbuchstaben: ‚Mach aus deinem Trauma einen Traum. Wir helfen dir dabei! Maschinentraum(a) e.V.‘ VelVo bleibt demonstrativ auf der Straße stehen, steckt seine Hände in die Hosentaschen und zieht ein langes Gesicht.
TaNa1: Was ist, Vel. Kommst du nun mit rein, oder nicht?
VelVo: Oder.
TaNa1: Was soll das für eine Antwort sein? Ja oder nein!
Velvo: Weiß nicht.
KinDr47: Hör auf ihn zu bedrängen, du siehst doch, dass es ihm nicht gut geht.
TaNa1: Also ich gehe jedenfalls. Ihr könnt ja hier draußen Rost ansetzen, wenn ihr unbedingt wollt.
KinDr47: Ja, ja. Geh’ du nur zu deinen Häppchen. Ich bleibe bei Vel.
VelVo: Das ist nicht nötig, ich…
KinDr47: Oh doch, das ist nötig. Du bist ja ganz durcheinander, mein Freund.
VelVo: Bitte, 47. Ich möchte lieber alleine sein.
KinDr47: Na gut, wenn du das möchtest, muss ich es respektieren. Mach nur bitte nichts unüberlegtes, ja?
VelVo zwingt ein Lächeln auf seine blassen Lippen und nickt, KinDr47 erwidert das Lächeln und folgt TaNa1 zur Gruppensitzung. Kaum hat sich die Eingangstür hinter den beiden geschlossen, verschwindet das Lächeln aus VelVos Gesicht, bekümmert setzt er sich auf eine nahegelegene Treppenstufe und vergräbt den Kopf zwischen seinen Händen.

© sybille lengauer